in fußballland
: Bäume umarmen statt Kinogeld

CHRISTOPH BIERMANN über die künstliche Verlängerung der Pubertät im Mannschaftssport

Christoph Biermann, 43, liebt Fußball und schreibt darüber

Es war ein gütiges Schicksal, das mich an den Tisch von Christian Hochstätter verschlug, denn der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach ist nicht nur ein Mann interessanter Ansichten, sondern auch ein guter Geschichtenerzähler. Der Klub hatte jene Journalisten, die über ihn regelmäßig berichten, zu einem verspäteten Neujahrsempfang eingeladen, und weil die Borussia vom Niederrhein ein zutiefst bürgerlicher Klub ist, saß man bei mehrgängiger Speisenfolge an Tischen mit gestärkten Decken und Namensschildchen eher vornehm zusammen. Trotzdem entspann sich schnell eine angeregte Diskussion über die Ausbildung von Fußballtalenten, und später begann Hochstätter lustige Geschichten aus seinem vergangenen Leben als Fußballprofi zu erzählen.

So wurde zu Zeiten von Jupp Heynckes als Trainer am Bökelberg freitags vor Heimspielen stets Kinogeld verteilt. Damit ausgestattet zogen die Filmfreunde im Team gemeinsam los, um am Abend vor dem Spiel ins Kino zu gehen. Oder genauer: Sie taten es nicht. Nur Jungprofi Hochstätter saß vor der Leinwand, nachdem er seine Kollegen bei ihren Frauen, Freundinnen oder Geliebten abgeliefert hatte. Nach dem Kino sammelte er sie wieder ein und erzählte auf dem Rückweg den Film, damit sie auch was zu sagen hatten, wenn Heynckes fragte, wie es denn gewesen wäre.

Man muss sich das Leben von Profifußballmannschaften wohl wie eine künstliche Verlängerung der Pubertät vorstellen. Die Gruppendynamiken entsprechen ungefähr denen von Schulklassen, und ähnlich schlicht ist der Humor strukturiert, weshalb immer wieder etwas eine Rolle spielt, das man am besten mit dem altväterlichen Begriff „Streiche spielen“ umschreibt. Und in Mönchengladbach war ein großer Streichespieler offensichtlich „der Miller“, wie Hochstätter den Stürmer nannte, den wir alle als Frank Mill kennen. Der Miller also schickte einmal einen Spieler, der zum Probetraining gekommen war und sich dazu umziehen wollte, aus der Kabine in einen Nebenraum, der dafür vorgesehen sei. Der junge Mann fand dort auch einen Trainingsanzug vor und zog ihn an, als die Tür aufflog und Jupp Heynckes empört rief, was er denn im Trainerzimmer machen würde.

Da lachten wir herzlich, und noch manche Dönekes diesen Zuschnitts erzählte Hochstätter. Er tat das mit Vergnügen, obwohl er der Pubertät der Profis längst weit entwachsen ist, und bald legte sich ein Hauch von Nostalgie über den Tisch. So was gibt es heute einfach nicht mehr, stellte der Manager ein wenig traurig fest. Das stimmt nicht ganz, wenn man sich daran erinnert, dass Bastian Schweinsteiger, der junge Profi des FC Bayern, im letzten Sommer seiner „Kusine“ des Nächtens die Sauna auf dem Vereinsgelände „gezeigt“ hatte. Aber insgesamt hat Hochstätter schon Recht, so richtig lustig ist das Fußballerleben nicht mehr.

Dazu ist die ganze Angelegenheit viel zu ernst geworden, und wer schmiert mittwochs vergnügt Zahnpasta auf Türklinken, wenn ständig signalisiert wird, dass samstags Überlebenskämpfe zu bestreiten sind. Also gibt es heute keinen Pubertätszuschlag für Profis mehr. Und wenn doch, in ganz anderer Form, wie Hochstätters ehemaliger Mannschaftskameraden Jörg Neun erleben musste, als er bei einem benachbarten Zweitligisten gemütlich dem Ende seiner Karriere entgegenkickte. Da übernahm ein neuer Coach, dessen Trainingsbeginn früh um acht Jörg Neun schon arg grenzwertig fand, noch mehr aber, auf einem Bein stehend mit der rechten Hand am linken Ohrläppchen ziehend die Energien zu wecken. Irgendwann wurden er und seine Kollegen von ihrem esoterischen Trainer bei einem Waldlauf dazu aufgefordert, sich jeder einen Baum zu suchen, ihn zu umarmen und seine Kraft zu spüren. Das war für Neun, der in seiner Karriere bestimmt viel Unsinn gemacht hatte, des Guten zu viel. Unter diesen Bedingungen mochte er kein Fußballprofi mehr sein. Bäume umarmen, nicht mit ihm! Er gab seinen Vertrag zurück, hörte mit dem Fußballspielen auf und begann endlich ein Erwachsenenleben.