Experimente und Mutationen

Von aufhängbaren Stühlen über elastische Griffe aus Polyethan-Gel bis zu Wandbehängen mit Noppenmuster: Die Berliner Vertreter auf der Talentschau „inspired by cologne“ der Internationalen Möbelmesse präsentierten vielseitige Entwürfe

VON MICHAEL KASISKE

Vor gut drei Jahren sprach der Berliner Designer Hermann Weizenegger in der taz über den „Entrepeneur“ als den notwendigen Typus seiner Profession: „Einer, der mal mit einem Produzenten arbeitet, mal selbst Hersteller ist. Einer, der sich in verschiedene Rollen hineinversetzen kann.“ Gerade in der Hauptstadt, der die Industrie durch die einstige Teilung und den Strukturwandel seit langem abhanden gekommen ist, müssen andere Wege in die Produktion eingeschlagen werden als das geläufige Klinkenputzen bei potenziellen Herstellern. Diese Haltung kennzeichnet auch die fünf Berliner Designer und Designerteams, von denen jeweils ein oder zwei ausgewählte Produkte auf der Talentschau „inspired by cologne“ der diesjährigen Internationalen Möbelmesse in Köln präsentiert wurden. Ein Produkt, das den für die Auswahl zuständige Rat für Formgebung überzeugte, war ein Klappstuhl mit dem sinnfälligen Namen „Walker“, den das Büro Fuchs + Funke entworfen hat. Der „Dreibeiner“ besteht aus MDF und lackiertem Aluminiumrohr und lässt sich bequem tragen dank eines Griffs, an dem der Stuhl zudem Platz sparend aufgehängt werden kann. „Walker“ ist im letzten Jahr anlässlich des Wettbewerbs „Folding Chairs 100 % Design“ entstanden und setzt die Reihe von Stuhl- und Sesseltypen fort, die Kai Funke und Wilm Fuchs bereits entwickelt haben. Ihren eigenwillig geformten Arbeiten liegt die Entwicklung eines klaren Konzepts zugrunde – „Strukturen werden seziert, auf den Kopf gestellt, umgeformt und neu zusammengesetzt“; erst daraus ergibt sich das materielle Experiment mit dem Objekt.

„Walker“ ist ein typisches Produkt der beiden Designer, die seit ihrem Diplom 2001 zusammenarbeiten und inzwischen selber Lehraufträge an der UdK wahrnehmen. Es lässt sich vielseitig nutzen und besitzt dennoch eine charakteristische Gestalt. Ob sich ein Hersteller bei der aktuellen wirtschaftlichen Stimmung dafür findet, ist eine andere Frage. Hier mag sich hoffentlich das Ziel von „inspired by cologne“ einlösen, nämlich Produzenten und Designer zusammenzubringen.

Das hat der Tisch namens „doppelgänger“ von Michael Sans nicht nötig. Das niedrige Objekt aus Formholz wird bereits in Kleinserie hergestellt und vom Designer direkt verkauft. Auffallend wird das formal zurückhaltende Möbel durch die verschiedenen Oberflächen, insgesamt 136 Möglichkeiten, die Sans von 16 verschiedenen Künstler gestalten ließ. Durch die limitierte Auflage unterstrichen überlappen sich Design und Kunst auf anschauliche Art und Weise.

Design pur ist hingegen die „Kneifnoppe“ von Konrad Süßkow, die die Gestaltung revolutionieren könnte, würde ihr die Möglichkeit gegeben, sich in der Praxis zu bewähren. Hier wendet sie Süßkow auf eine Reihe von nebeneinander liegenden Schubkästen aus MDF an. Die vordere Wand jedes Kastens besteht freilich aus einem elastischen Polyethan-Gel, aus dem man sich zwischen den Fingern eine Noppe formen kann, die dann der Griff zum Aufziehen ist. „Es gibt kaum ein Gewebe, das sich auf so besondere Weise griffig und dehnbar anfühlt wie die menschliche Haut“, erläutert Süßkow die ideelle Basis seines Entwurfs. Bei der „Kneifnoppe“ wird „die der Haut nachempfundene Dehnbarkeit zum Funktionsprinzip, um eingreifen zu können in die sonst feste, undurchdringbare Hülle eines Gegenstands“.

Da das Material durchscheinend ist, wird das Geschlossene eines Schubkastens auch optisch aufgehoben und erleichtert das Auffinden von Gegenständen. „Welchen Kniff der Benutzer auch anwenden sollte, das Material passt sich der individuellen Handhabung an und kehrt danach wieder vollständig in seinen ursprünglichen Zustand zurück.“ Die glatte Front, aus der kein Griff störend herausragt, ist zudem ein äußerst ästhetischer Anblick.

Ein anderes Produkt, das Süßkow vorstellte, war eine Bank namens „Anklang“, das er zusammen mit Pascal Wiedenmann und Sven Averdiek im letzten Jahr an der UdK als Diplomprojekt entwickelt hat. Unter dem Titel „Berlin Vermöbeln“ war eine Serie von Objekten konzipiert worden, die sich aus Neukombinationen und Mutationen vorgefundener urbaner Situationen ergaben und damit dem öffentlichen Raum seine Trostlosigkeit und Eintönigkeit nehmen sollten. Letzteres macht die harmlos aussehende Sitzbank aus MDF, Aluminium, Stahl und Filz wortwörtlich, denn beim Niederlassen auf den Sitz werden Töne erzeugt. Vielleicht eine Möglichkeit, beim Warten auf die Züge der Ungeduld klangvoll Ausdruck zu verleihen. Mit neuen Materialien experimentierte auch das Designbüro Olze & Wilkens bei seinen beiden vorgestellten Produkten mit den programmatischen Titeln „preciousness“ und „showhide“. Hinter dem Wandbehang aus Polyethylen mit einem Noppenmuster, das auf den ersten Blick wie eine strukturierte Tapete wirkt, verbirgt sich eine Kombination aus Garderobe und Pinnwand. In die Löcher kann alles „Wertvolle“ umstandslos befestigt werden und bleibt dennoch in Sichtweite. In Weiß, wie es auf der Messe gezeigt wurde, ist die Wand eine ansprechende Alternative zu den üblichen Steck- oder Magnettafeln. Bei „Showhide“ interpretieren Karen Olze und Gisa Wilkens mit einer Lamellenbahn von der Rolle die Wand mit Vor- und Rücksprüngen neu. Das einfache System bildet nach außen liegend Präsentationsflächen und auf der Rückseite Fächer, die als Verstecke geeignet sind.

Eine geradezu sinnliche Arbeit ist „dressing“ von den drei Designerinnen Veronika Becker, Heike Scheller und Judith Seng. Dahinter verbergen sich Kleidungsstücke für Stühle, die deren Komfort erheblich steigern, indem sie etwa Polster mit seitlichen Taschen bieten oder sogar kleine Säcke, in die man seine Füße stecken kann. Feinste Merinowolle sorgt für ein entsprechend angenehmes Wohngefühl.

Die drei Designerinnen, die in wechselnden Konstellationen miteinander arbeiten, sind wie ihre anderen KollegInnen beispielgebend für den Typus des „Entrepeneur“, der dank der Lehre an der UdK von Hans Roericht kultiviert wurde. Das Wirken über die Werkstatt oder das Atelier hinaus bietet dem Verbraucher – etwa beim bevorstehenden Design-Mai – die Chance, abseits von Produzenten unmittelbar mit dem Entwerfer ins Gespräch zu kommen.