Einer Ballerina gleich

Sandra Köppen, gelernte Arzthelferin aus Schenkenberg bei Brandenburg, ist die Beste: Die 29-Jährige ist Weltranglisten-Erste im Sumo-Ringen. Für sie, die schon längst keine Trainingspartnerinnen mehr findet, ist das Geschiebe auf der Matte nicht nur ein Sport, sondern eine Lebenseinstellung

„Es macht mich immer sehr traurig, dass unsere Männer schlecht über uns reden …“ „… aus Eifersucht, schließlich haben wir die Erfolge. Das müssen die endlich kapieren“

VON SILKE KETTELHAKE

„Claudia Schiffer hätte das nicht geschafft“, sagt Sandra Köppen, 29, und tippt auf die Darstellung verrenkter dicker japanischer Körper in ihrem Sumolehrbuch. Der archaische Sumokampf erfordert Masse, jahrelanges hartes Training und eine spezielle Ernährung. Die japanischen Stars wie Akebono, Takanohana oder Takanonami bringen bei einer Größe um die zwei Meter locker über 200 Kilo auf die Waage.

Sandra Köppen bringt es immerhin auf 135 Kilo, und trotz ihres Schwergewichts ist sie extrem gelenkig. Ein Sumotori muss wie eine Ballerina in den Spagat gleiten können.

Schritt für Schritt hat sich Sandra die strengen Sumoregeln selbst beigebracht: das traditionelle, die Götter weckende Händeklatschen, um zu zeigen, dass der „Rikishi“, der Kämpfer, ohne Waffen kommt, das Stampfen der massigen Füße, um die Teufel zu vertreiben, das taxierende Hypnotisieren des Gegners beim Start, die mentale Anspannung im „Shikiri“, die „Kinjite“, die erlaubten und verbotenen Fouls. Ein Kampf kann innerhalb von Sekundenbruchteilen entschieden sein, wenn der Gegner mit einem anderen Körperteil als den Fußsohlen den Boden berührt oder aus dem Rund der Kampfmatte, dem Dohyo, gedrängt wird. „Fühl mal“, sagt die mehrfache Sumoweltmeisterin in der nach oben offenen Gewichtsklasse und spannt ihr Hinterteil an. Hart wie ein Möbelstück ist ihre Muskulatur. Sandra klopft auf ihren Bauch: „Nur hier, da bin ich ein wenig weich.“ Ihr langjähriger Trainer Wolfgang Zuckschwerdt sagt leise: „Ist doch auch schön.“

Masse gegen Masse, kombiniert mit Technik, Schnelligkeit und Gleichgewichtssinn: Seit 1999 kämpft die erfolgreiche Judoka im Sumo – als eine der wenigen Frauen weltweit, obwohl es mittlerweile 85 Sumo kämpfende Nationen gibt. „Okay, die Brasilianerinnen sind saustark. Olessia Kovalenko aus Russland ist eine echte Gegnerin. Und der Bus: die Japanerin Rie Tsuihiji. Angstgegnerinnen – kenne ich nicht!“

„Im Prinzip wird der Kampf mit der Begrüßung entschieden“, erklärt Trainer Zuckschwerdt. Das meiste spielt sich im Kopf ab. „Mentale Stärke zählt, nicht nur die Verdrängung durch Masse. Sandra ist von Hause aus sehr stark, mental wie körperlich.“ Sie habe gelernt, allein auf dem Podium zu stehen, um sich 5000 Zuschauer.

Sandra hätte für mindestens ein Jahr in Tokio eine der berühmten Sumoschulen besuchen können. Als erste Frau – aber dazu ist sie viel zu gern zu Hause. Auf dem Ulmenhof in Schenkenberg bei Brandenburg warten nämlich ihre Tiere: zwei Lamas, die Shetlandponys, das Eseljunge, an die hundert Hühner, die indischen Laufenten, die vielen Karnickel, die Hängebauchschweine, die Fasane und der Pfau. „Denen ist das egal, ob ich als Gewinnerin nach Hause komme oder nicht“, sagt Sandra und schmust mit dem Eselbaby.

Die ungeschlagene Siegerin in der offenen Gewichtsklasse weiß um das Medieninteresse an ihrer Person: „Die denken doch, ich fress zum Frühstück ein halbes Schwein auf Toast!“ Okay, sie plädiert dafür, dass auch Dicke Sport machen. Aber schon die Definition von dick und dünn ist ihr zuwider: „Ich würde nie Sport machen, um abzunehmen! Und ich würde auch nicht extra zunehmen wollen, nur fürs Sumo. Klar, ich arbeite für eine Frau mit großen Gewichten.“

Im Brandenburgischen ist die Tochter eines Amateurboxers und einer Akrobatiklehrerin aufgewachsen. Hier ist jeder stolz auf sie, wenn sie von ihren Siegen aus Moskau, Paris oder Japan zurückkehrt. Der Sport steht bei ihr an erster Stelle, drei bis vier Trainingseinheiten pro Tag sind ihr Minimum. Aber für ihren Streichelzoo würde sie ihr letztes Hemd hergeben. „Ich muss einfach draußen sein. Und im Sommer, da kommen ganze Schulklassen hier auf den Hof.“ Dass die Kinder sehen, dass ein Ei nicht in die Pappe gelegt wird und dann einfach im Regal steht, das ist ihr immens wichtig. Überhaupt Kinder: Noch eine WM im Judo, noch die Sumo World Games 2005, „und dann legen wir los, was Wolfgang?“. Der gluckst nur, befürchtet er doch, dass Sandra kaum zum Aufhören zu bewegen sein wird. Sport und Kinder, das geht nicht, meint er.

Männer bringen Sandra Köppen schnell in Rage. Jörg Brummer, „unser Brümmi“, sei einer, mit dem die Frauen im Training total gut auskämen – nie aber würde er etwas Positives über Sumofrauen sagen. „Es macht mich immer sehr traurig, dass unsere Männer schlecht über uns reden und uns öffentlich als unästhetisch und fett hinstellen.“ Im Gegenteil, deutsche Frauen seien sehr athletisch, findet Sandra. „Wenn die Männer wirklich unseren Sport weiterbringen wollten, dann würden sie sich diese dummen Sprüche verkneifen. Dahinter steckt bestimmt Eifersucht; schließlich fahren wir die Erfolge ein. Das müssten sie endlich mal kapieren.“ Frauen kämpfen anders als Männer, da ist sich Sandra sicher. Aber „wenn ich weiß, wo es wehtut, dann haue ich auch zu. Klar kommen einem die Weichteile manchmal in die Quere, das merkste gar nicht im Eifer des Gefechts.“

Dass die gelernte Arzthelferin ihren Sport professionell ausüben kann, das verdankt sie der Bundeswehr. Blöde Sprüche gibt’s da auch, aber: „Ich habe mich so durchgesetzt, wie ich bin, dafür habe ich mich entschieden.“ Hauptgefreiter Sandra Köppen ist Sportsoldatin, eigentlich zwar fürs Judo, aber ihre Vorgesetzten unterstützen ihre Karriere im Sumo. Für Wettkämpfe wird sie freigestellt, und Autogrammkarten bekommt sie auch. Kürzlich stand eine Übung zum Feldwebeleinsatz an, so richtig scheint ihr der Drill dort nicht zu liegen. Dafür legt sie im Sport eine gnadenlose Disziplin an den Tag. „Du kannst nicht mit dem halben Hintern über die Matte rutschen. Wenn du den Erfolg hast, dann musst du den Sport leben“, sagt sie.

Wenn Sandra heute nach Japan fährt, dann tut das richtig gut. Schon am Flughafen warten die Fans mit Transparenten. Das war nicht immer so. Bis vor 20 Jahren durften Frauen bei den japanischen Kämpfen nicht mal im Publikum sitzen, schließlich wurden religiöse Riten zelebriert: Sturmgott Susanoo verweigert seinem Vater den Gehorsam, worauf der ihn in himmlische Gefilde verbannt. Der junge Gott kämpft mit seiner Schwester Amaterasu. Susanoo gewinnt. Aus Scham verbirgt sich die Sonnengöttin Amaterasu in einer Felsenhöhle. Die Welt versinkt im Dunkel. Um Amaterasu hervorzulocken, stampfen die Götter einen wilden Tanz auf den Boden. Neugierig schaut Amaterasu aus ihrer Höhle, und die Götter ziehen sie aus ihrem Versteck. – Der Tanz der Götter ist die Urform des Sumokampfs.

Sandra packt ihr Fotoalbum aus: „Unsere Männer durften in der traditionellen Halle trainieren, und wir paar Mädels mussten uns 1999 in einer zugigen Baracke bei Minusgraden mit halbwüchsigen Hemdlingen herumschlagen. Mann, was sind die durch die Luft geflogen!“ Wolfgangs Schnäuzer bebt auf seiner Oberlippe: „Ich habe dann einfach gesagt, kommt, Mädels, ihr kämpft jetzt mit richtigen Gegnern. Der Ring war dann zwar jeden Abend durch das Frauentraining entweiht, aber unsere Mädels haben viel gelernt!“

Doch Japan bleibt Sandra fremd. Sushi ekelt die Weltranglisten-Erste. Am liebsten isst sie Nudeln mit Tomatensoße – zum Frühstück. „Ich verbrenne ja auch viel“, erklärt sie schnell. Der Trainer sekundiert: „Das ist für einen Sportler ganz normal! Sandra isst ja x-mal, bis zu siebenmal am Tag.“ Warum die Mächtige dann im Restaurant schon nach der Vorspeise satt ist, bleibt ihr Geheimnis. Zuckschwerdt kennt das, „man kann getrost ein Gericht weniger bestellen“.

In der Trainingshalle beim PSG Dynamo Brandenburg e. V. ist die Heizung mal wieder kaputt. Sandra scheint das nichts auszumachen, sie schwitzt heftig, trotz ihrer eisigen Atemwolken. Weltmeisterin will sie werden im kommenden November. Weit fahren muss sie nicht, freut sich Sandra, denn Sicherheitsbedenken wegen der Lungenseuche Sars brachten die Sumo-Weltmeisterschaften von Hongkong ins thüringische Riesa.

Mit ihren Judofreundinnen, die teilweise wie sie auch ins Sumofach gewechselt haben, versteht sich Sandra zwar super, doch als Trainingspartnerinnen können die zwar robusten, aber dennoch körperlich ganz anders gebauten jungen Frauen nicht herhalten. Sandra schiebt alle locker über das von einem örtlichen Sattelmacher gebastelte Dohyo. Angesichts des weißen Runds gerät Zuckschwerdt ins Schwärmen: „Wenn wir hier in Brandenburg Wettkämpfe haben, dann bauen wir auch den Shintoschrein auf. Wir halten uns sehr streng an die Regeln, und unser Publikum dankt es uns!“ Im Training muss stets „Püppi“ herhalten, eine schwere Figur mit annähernd menschlichen Gliedmaßen. Nur Wolfgang darf Püppi halten. Doch ohne lange zu fackeln, schiebt Sandra, einem Eisbrecher gleich, Wolfgang samt Püppi sanft aus dem Ring. In Deutschland hat das Mädel aus Brandenburg keine wirklichen Sparringspartnerinnen mehr. „Die sind alle zu leicht.“