Die Höflichkeit eines Diplomaten

Avi Primor macht sich Gedanken über den islamistischen Terrorismus – und misst vielen Fakten zu wenig Bedeutung zu: „Terror als Vorwand“

Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland hat ein intelligentes Buch geschrieben, das in weiten Teilen aber nicht unproblematisch ist. Einerseits suggeriert der Titel und das Cover des Buches eine Abhandlung über den Terror, insbesondere des islamischen gegen den Westen repräsentiert durch die USA und Israel. Andererseits schreibt der Autor aber primär eine Geschichte seines Landes und des Nahostkonfliktes, und dies aus zionistischer Sicht.

Für den unbedarften deutschen Leser ist das deshalb eine problematische Lektüre, weil er nicht nur eine eingeschränkte Sichtweise der Ereignisse seit der Kolonisierung Palästinas und der Staatsgründung Israels präsentiert bekommt, sondern auch eine ideologisch gefärbte Interpretation des Nahostkonflikts und des islamischen Terrorismus. Das Buch von Primor sollte eigentlich zusammen mit der Veröffentlichung von Raid Sabbah über die „Geschichte eines Selbstmordattentäters“ gelesen werden, weil dadurch die präsentierte Geschichtsdarstellung und die Politik Israels in die richtigen Proportionen gesetzt worden wären.

Mit der These, dass der globale Terrorismus und der islamische Fundamentalismus vom Nahostkonflikt nicht zu trennen sind, scheint Primor wesentlich weitsichtiger zu sein als die Extremisten der Bush-Administration. Diese verteidigen die Politik Scharons vorbehaltloser als der Ex-Botschafter, der vom damaligen Außenminister und heutigen Ministerpräsidenten 1999 ein Abmahnung erhielt, als er die ultraorthodoxe Schas-Partei als undemokratisch bezeichnete. Aber schon die Übernahme der These von der Verteidigung gegen den islamischen Terrorismus als einer Art „Weltkrieg“ ist hoch problematisch, weil es die erheblichen Unterschiede im Islam nicht hinreichend würdigt und die Kulturkampfrhetorik einiger US-Wissenschaftler und Politiker für bare Münze nimmt.

In seinen Ausführungen über den islamischen Terrorismus kommt Primor zu der Schlussfolgerung, dass die USA den Terror des 11. September 2001 als Vorwand zur Entfesselung des Irakkriegs genommen haben. Dem Autor geht es aber um etwas anderes: Der Widerstand und auch Terror der verschiedenen muslimischen Organisationen muss mit allen Mitteln bekämpft werden. Primor hält die Terrororganisation al-Qaida nicht für die größte Gefahr, sondern die Atommacht Pakistan mit seinen tausenden von Koranschulen, in denen der Hass auf den Westen gepredigt werde.

Der Autor fragt auch nach den Ursachen des Fanatismus in der arabischen Welt und sieht diese mit einiger Berechtigung in der Frustration begründet. Neben den historischen Ereignissen wie der Reconquista in Spanien und die koloniale Vergangenheit nennt er auch das wirtschaftliche und soziale Elend in der arabischen Welt. Was er nicht erwähnt, ist die Rolle Israels im Nahen Osten. In der arabischen Psyche stellt neben der Staatsgründung auch die Niederlage im Sechstagekrieg von 1967 das „Urtrauma“ dar. Einige arabische Staaten machen sogar für ihre Unterentwicklung Israel verantwortlich, was natürlich grober Unfug ist.

Primors Ausführungen zur Geschichte seines Landes und des Friedensprozesses sind von einer eigentümlichen Ambivalenz gekennzeichnet. Einerseits wiederholt er alle zionistischen Mythen, die keiner ernsthaften historischen Forschung mehr standhalten, andererseits ventiliert er die Legende, dass die Palästinenser jede Chance zum Frieden ungenutzt haben verstreichen lassen. Für das Scheitern des Friedensprozesses und in dessen Folge den Ausbruch der Gewalt im Rahmen der Unabhängigkeitsintifada werden die Palästinenser, sprich: Jassir Arafat verantwortlich gemacht. Der Autor lässt nicht unerwähnt, dass alle israelischen Regierung seit 1993 das koloniale Siedlungsprojekt in Form von Siedlungen und einem separaten Straßensystem weiter vorangetrieben und den Palästinensern das Leben zur Hölle gemacht haben, misst diesen Fakten aber keine größere Bedeutung zu.

Die Ursache des Nahostkonfliktes liegt für Primor nicht im palästinensischen Problem, sondern in der Verweigerungshaltung der arabischen Staaten, die Existenz eines jüdischen Staates zu akzeptieren. Israel sei immer kompromissbereit gewesen, „während die Araber, die sich später Palästinenser nannten, unzugänglich blieben“. Dass die Wirklichkeit etwas differenzierter ablief, müsste der Autor eigentlich wissen. Wenn jemand die unzähligen Friedenspläne, ob sie nun von den USA oder den arabischen Ländern vorgelegt worden sind, torpediert hat, waren dies die diversen israelischen Regierungen. Zuletzt wurde der Plan Saudi-Arabiens versenkt.

In Anbetracht der furchtbaren Äußerungen des CDU-Abgeordneten Hohmann und der nicht gerade schmeichelhaften EU-Umfrage zur Friedensbereitschaft Israels geht auch Primor der Frage des zunehmenden Antisemitismus in Europa nach. „Ein Jude ist heute im Westen nicht nur juristisch gleichberechtigt, sondern auch gesellschaftlich.“ Der Autor konstatiert für Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen schrittweisen und langsamen, aber eindeutigen und stetigen Rückgang des Antisemitismus. Die Israelis dagegen meinten, dass die Vorbehalte gegen Juden wachsen und der Antisemitismus gefährlich zunehme.

Primor wirft seinen Landsleuten und auch Scharon vor, dass sie sich nicht mit den Argumenten gegen die israelische Besatzungspolitik auseinander setzten und diese mit Vorwürfen gegen Europa beantworteten. Der Autor zitiert ein Interview Scharons in der Tageszeitung Ma’ariv, in dem er auf die Ursachen der kritischen Haltung Europas gegenüber seiner Politik antwortete: „Die antisemitischen Vorkommnisse in Europa können das erklären.“ Mit der gleichen absurden Antwort wurde jetzt auf die empirische Umfrage der EU reagiert.

Primors Buch bietet Impressionen über den islamischen und Weltterrorismus, die Gewalt im Nahen und Mittleren Osten, die Geschichte Israels und den Nahostkonflikt sowie die Rolle der USA und Europas. Seiner diplomatischen Höflichkeit ist es wohl geschuldet, dass er in zahlreichen spannenden Momenten im Unverbindlichen geblieben ist. LUDWIG WATZAL

Avi Primor: „Terror als Vorwand. Die Sprache der Gewalt“, Droste Verlag, Düsseldorf 2003, 238 Seiten, 16,95 Euro