Moslem-Homos sind cool

Nur Glaubenssache? In Belgien und den Niederlanden haben lesbische und schwule Muslime eine Debatte entfacht: Sie wollen endlich anerkannt werden – von der liberalen Öffentlichkeit, vor allem aber von ihren Imamen, ihren Glaubensinterpreten

VON MIA RABEN

Die Reaktionen islamischer Fundamentalisten und Rechtsradikaler kamen prompt. Zwei Tage nachdem der Antwerpener Carim Bouzian, 21, vorigen Herbst im belgischen Fernsehen angekündigt hatte, Poster zu veröffentlichen, auf denen homosexuelle Muslime schmusend abgebildet sind, schrieben sie ihm Drohbriefe und beschimpften ihn am Telefon.

Doch der Sohn marokkanischer Einwanderer ist nicht einzuschüchtern. Im Gegenteil: Carim Bouzian hat Lust zu streiten – mit allen, die Homosexualität nicht tolerieren wollen. „Bedroht mich nur! Je mehr Drohungen, desto mehr Aufmerksamkeit“, sagt er. Seine Partei, die Jungen Grünen, und die Polizei stellten ihm eine Leibwache zur Seite.

Genau wie die Posterstars Ahmed und Aisha, ist Carim ein MoHo, ein Moslem-Homo: Lesben und Schwule, die aus muslimischen Familien stammen. Sexualität nicht länger verstecken, sie endlich „bespreekbaar“ machen, wie es im niederländischen Therapiejargon heißt, das ist ihr Ziel. Nach der Poster-Aktion – Bouzian: „Ein Hingucker, der bewusst konfrontieren soll“ – gründen sich nun in vielen Städten Belgiens und der Niederlande MoHo-Gruppen.

Doch Religion und Familientraditionen machen ihnen das Coming-out schwer. „Die Poster fungieren jetzt als Druckmittel im Dialog mit den Imams. Sie sollen endlich aufhören, ihre eigenen Interpretationen des Korans als absolute Wahrheit zu verbreiten“, sagt Carim Bouzian. Nirgendwo im Koran werde Homosexualität verboten. Er geht noch einen Schritt weiter: „Jeder Moslem hat die Aufgabe, den Islam zu beschützen. Darum ist Modernisierung sehr wichtig. Wenn du die Botschaft deiner Überzeugung nicht nach außen trägst, sündigst du.“ Vielen Moslems, nicht nur in Antwerpen, sind Bouzians Ansichten unheimlich. Denn auch das niederländische Recht stützt indirekt die Angst vor einem modernen Islam. Als der Rotterdamer Glaubensinterpret Imam El Moumni Homosexualität als „ansteckende Krankheit, die bekämpft werden muss“ bezeichnete, bekam er nur eine Geldstrafe. Für das Gericht wog die Meinungs- und Glaubensfreiheit schwerer als das Diskriminierungsverbot.

„Gar nicht beängstigend“

Selbst viele junge Moslems stimmen dem Imam und seiner traditionellen Sicht zu. Nach einer Umfrage der niederländischen Zeitschrift Nieuwe Revu stimmen 42 Prozent der Jugendlichen der Aussage „Homosexualität ist eine Krankheit“ zu. „Beunruhigend, aber gar nicht beängstigend“, findet das Youssef Boussaid, 20, der jetzt in Amsterdam eine MoHo-Gruppe ins Leben ruft.

Nach dem belgischen Erwachen organisierten vergangene Woche in Den Haag auch die Niederländer die erste MoHo-Debatte, über die am Wochenende das öffentlich-rechtliche Fernsehen in seiner Sendung „TweeVandaag“ berichtete. Und 800.000 Niederländer schauten zu: bemerkenswert viele.

Einer der Organisatoren der Debatte ist Merijn Henfling, 25, Chefredakteur der Jugend-Homo-Zeitschrift Expreszo. Die Initiative Carim Bouzians griff er dankbar auf, um diese „schrecklich veralteten Ansichten“ zu bekämpfen. Und druckte in der jüngsten Ausgabe seines Magazins die MoHo-Poster. Heiß begehrt waren sie, auch in muslimischen Vierteln: ein Kultobjekt.

Erste Früchte einer Debatte

In Antwerpen ließ Bouzian sie letztendlich zwar doch nicht aufhängen: „Die Plakate sind ein Druckmittel. Zu den Imams sage ich, widmet uns MoHos ein jährliches Freitagsgebet – sonst hängen wir die Bilder in der Stadt auf.“ Mit anderen Worten: Die Debatte ist nicht kleinzukriegen: Nun hat Adelheid Byttebier, flämische Ministerin für Gesundheit, Wohlsein und Chancengleichheit, versprochen, einen Stufenplan zu erarbeiten, wie MoHos über die Moscheen Hilfe finden können.

Während also belgische und niederländische Moslem-Homos aus der Tabuzone drängen, scheinen es deutsche MoHos noch besonders schwer zu haben. Hier werden sie nicht nur von ihren Familien ausgebremst. Ausländerbeauftragte, Streetworker trauen nur ihrer politischen Korrektheit – das Thema muslimische Migranten und Homosexualität ist den meisten zu heikel.

Europa ist vielfältig und Deutschland offenbar nicht der Maßstab: Französische MoHos haben Carim Bouzian als Berater für ihre Kampagne eingeladen.

Und wer druckt bei uns die ersten Poster mit Aisha und Ahmed?