Die Tochter der Mutter-Polin

VON MONIKA PIOTROWSKA

„Die letzte Volkszählung bestätigte, dass Frauen besser ausgebildet und dynamischer als Männer sind. Doch oft sind sie einsam. Zur Strafe?“ Im Januar fasste die Redaktion der polnischen Ausgabe von Elle einen verzweifelten Brief an die Männer ab. „Können wir nicht Gefährten sein? Wir wollen heiraten, wir träumen von der Familie und von einem Ehemann. Von einem Mann und Freund.“ Dieser Brief gibt einen tiefen Einblick in das Leben junger polnischer Frauen.

Einige Jahre nach der Wende scheint es, dass polnische Medien sich wieder der Realität des Landes zuwenden. Aus dem in den Neunzigerjahren aufgebauten virtuellen Image der polnischen Frau schlüpfte auf einmal das Bild einer von jeglichen Vorurteilen befreiten, doch gleichzeitig frustrierten und sehr tapferen Polin aus. Eine der wichtigsten polnischen Wochenzeitschriften, die Polityka, nannte sie die Tochter der „Mutter-Polin“.

Mutter-Polin bedeutet mehr als eine Polin, die zur Mutter wird. Es ist ein Stereotyp, das polnische Frauen über zwei Jahrhunderte prägte“ – so brachte Polityka 2003 die Erscheinung der frühen, doch gleichzeitig verwirrten Emanzipation der Polin auf den Punkt. Als Polen im 19. Jahrhundert geteilt wurde, erhielten Polinnen die Staatsbürgerschaft – eines nicht existierenden Staates. Als westliche Emanzipationsanhängerinnen um Gleichberechtigung kämpften, kämpften Polinnen um ihre Nation.

Nach langer Fastenzeit erwiesen sich die Polinnen als Traumzielgruppe der kommerzialisierten Medien der neuen Ära. Es waren insbesondere die Fernsehwerbung, die polnischen Frauen Rollen zuteilten, die diese in Wirklichkeit nicht spielten. Den Markterfolg sicherte einfach die Neuheit der in den Neunzigerjahren erschienenen Zeitschriften. „Dies betrifft auch die Frauenpresse – die Polinnen fanden dort Inspiration für den zu Hause stattfindenden Kampf um höheren Lebensstandard“, sagt Boguslaw Bakuła, Kulturwissenschaftler aus Poznań. Der eingehenden Analyse des Bilds der Frauen in den Medien dieser Dekade, die unter der Ägide der Frauenstiftung „Fundacja Kobieca“ entstand, ist zu entnehmen, dass die virtuellsten Porträts in der Werbung lanciert wurden: das kopierte Modell der deutschen Superhausfrau und der narzisstischen Konsumentin. Die Alternativen zur Mutter bildeten der göttliche Körper der Schönheitspflegemittelverbraucherinnen und die Frau als Begierdeobjekt. Und das war die echte Neuheit! Denn einer der Nachteile der Mutter-Polin war ihre Asexualität.

Die aggressivste sexuelle Kampagne führte Cosmopolitan und kreierte das Modell der jungen Frau gemäß der 3F-Formel: funny, fearless, female. Die Pionierposition nahm jedoch die einzige authentisch polnische Frauenschrift Twój Styl (Dein Stil) ein, die seit 1990/1991 erscheint. Die Monatsschrift verkaufte sich von Anfang an sehr gut, sie kommt auf eine Auflage von 300.000. „Gerichtet an Frauen über 40, gestaltete das Magazin ein Modell der in einer Großstadt lebenden, freiberuflich arbeitenden Frau mit Hochschulausbildung, in mittleren Jahren, materiell gut versorgt“, stellt die Soziologin Sabina Królikowska fest. „Die berufliche Rolle dieser Frauen wurde idealisiert, sie hatten immer Erfolg; die Mutterrolle wurde auf die Aufzählung der Kinder, die Angabe der von ihnen absolvierten Schulen reduziert.“

Seit den Neunzigerjahren erscheint Oška, das Bulletin des Informationszentrums für Frauen, in dem problemorientierte Artikel wie über die Isolierung alternder Frauen veröffentlicht werden. Auf dem Markt gibt es auch die scharfe feministische Zadra (Kratzer), in der polnische Intellektuelle stark tabuisierte Themen wie lesbische Liebe, Bisexualität, Einfluss der väterlichen Dominierung auf die Psyche der Tochter und natürlich das Dauerthema Abtreibung aufgreifen. Zadra schildert jedoch zwangsläufig ein einseitiges Bild der Frau, die immer benachteiligt ist. Die Tagespresse und das Fernsehen der Neunzigerjahre behandelten Frauenthemen als zweitrangig. Berichtet wurde fast ausschließlich über Abtreibung, gelegentlich traten Frauen als streikende Textilarbeiterinnen oder Krankenschwestern in Erscheinung. Einen großen Erfolg hatten jedoch die Aktionen der Tageszeitungen Gazeta Wyborcza und Ekspres Wieczorny, die sich für „menschenwürdiges Gebären“ und gegen Gewalt in der Familie einsetzten.

„Die Diskussion über sexistische Sprache ist schwierig“, bemerkt E. Szawarska, „die meisten Frauen verstehen sie nicht. Dies zeigt auch der Fall von Renata Beger, der Abgeordneten der populistische Bauernpartei Samoobrona, die öffentlich und mit Entzückung über das „lüsterne Funkeln ihrer Augen“ erzählte. Sexismus irritiert in Polen nur selten, Proteste gibt es erst bei so offensichtlichen Geschmacksverletzungen wie der Kampagne eines Warschauer Rundfunks. Dieser hatte mit der Losung: „Das reizt uns“ (Wortspiel: in Polnisch heißt es wörtlich: „Es dreht uns“) und der Fotografie knackiger Brüste, die anstelle der Warzen Drehknöpfe hatten, für sich geworben.

„Die Erfolge der Frauen nach 1989 beweisen, dass wir keine Geschlechterparitäten brauchen“ – stellte die populäre Wochenschrift Wprost Ende 2003 in dem Bericht „Was vermag die Polin?“ fest. Sie vermag viel: Jede dritte Führungsstelle im Land wird von einer Frau besetzt, was eine der höchsten Kennzahlen in Europa darstellt. Sie passte sich besser als der Mann an die Marktwirtschaft an, sie ist besser ausgebildet und liest mehr. Seit den Neunzigerjahren gibt die Gazeta Wyborcza die Frauenbeilage Wysokie Obcasy (Stöckelschuhe) heraus und präsentiert dort die Porträts unfügsamer weiblicher Intellektueller. Wysokie Obcasy haben neben der nischenartigen Zadra den bedeutendsten Anteil an der Formulierung radikaler Positionen in der Frauenpolitik. Doch die durchschnittliche Polin will gar nicht so radikal sein. „Es gibt zwei Schemen, die Mutter-Polin und die Feministin, doch der weibliche Teil der Gesellschaft platziert sich irgendwo dazwischen“, meint Szawarska.

Auch die bekanntesten Polinnen, die künftige EU-Kommissarin Danuta Hübner und die Frau des Staatspräsidenten Jolanta Kwažniewska, versichern, dass sie ihr Familienleben für die Karriere nie opfern würden. Im Januar gaben Wysokie Obcasy die Ergebnisse der Leserinnenumfrage bekannt, die die „Polin-Idolin“ finden sollte. Anstatt der erwarteten Ikone moderner Frau, die sich in ihrem Leben selbst verwirklicht, wies die Umfrage auf die Gattin des Präsidenten, die Verkörperung der „Mutter der Nation“ hin. Die Konsternation der Redaktion brachte der Satiriker Michał Ogórek zum Ausdruck: „Man kann nichts tun: Trotz der zahlreichen Persuasionen bleibt die neueste Polin-Mutter-Idolin eine weitere Verkörperung der Mutter-Polin nach einem lediglich geringen Lifting.“

Übersetzung aus dem Polnischen: Maria Trojanowicz-Mikołajczak