Gefährliche Frauen

Die Debatten um das Kopftuch und um die Porno-Vergangenheit der Schauspielerin Sibel Kekilli drehen sich um dasselbe Thema: die Bedingungen weiblicher Integration

… „integrierten“ Frauen türkischer Herkunft mit allerlei Ansprüchen an die Pforten der hiesigen Gesellschaft

„Ich frage mich“, meinte kürzlich Michael Fürst, der Vorsitzende des niedersächsischen Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden, „warum wir für vielleicht 25 Betroffene in Deutschland 16 Landtage beschäftigen müssen, 16 Kultusministerien, 16 Staatskanzleien und eine Vielzahl von Juristen.“ Fürst sprach über jene Lehrerinnen, die in der Bundesrepublik ein Kopftuch tragen. Und er vergaß zu erwähnen, dass schon vor der aktuellen Diskussion alle gerichtlichen Instanzen bis zum Verfassungsgericht mit dem Thema befasst waren und wahrscheinlich hunderte von Journalisten und Profidebattierern im ganzen Land.

Was könnte der Grund dafür sein, dass zwei Dutzend Frauen so gefährlich erscheinen? In der Öffentlichkeit kursieren hauptsächlich zwei Thesen, die miteinander zusammenhängen. Nummer eins: Diese Frauen bilden die Vorhut in einem „neuen Weltkrieg“ – so der Titel des aktuellen Buchs des CDU-Intellektuellen Friedbert Pflüger über die „islamistische Herausforderung des Westens“. Nummer zwei: Das Kopftuch ist nicht nur ein religiöses Symbol, sondern, wie eine breite Koalition von Annette Schavan bis Viola Roggenkamp sagt, auch ein „politisches Zeichen“, das ebenso für die „Unterdrückung der Frau“ steht.

Beides klingt nicht besonders überzeugend. Selbst Auguren der islamistischen Gefahr in den frühen Neunzigerjahren wie der französische Soziologe Gilles Kepel gehen heute davon aus, dass die Bewegung ihren Zenit überschritten hat und sich in einem Prozess der „Verbürgerlichung“ befindet. Zudem weist nichts darauf hin, dass die Lehrerinnen oder die Pädagogikstudentinnen, die derzeit ihren Kopf bedecken, sämtlich in islamistischen Gruppen organisiert sind. Alle Untersuchungen in Deutschland von Sigrid Nökel bis Yasemin Karakasoglu zeigen, dass die gebildeten Musliminnen höchst individuelle Motive für das Tragen eines Kopftuchs haben.

Schließlich bilden diese jungen Frauen unter den Musliminnen eine Minderheit – ebenso wie die Islamisten eine Minderheit sind. Die Muslime in Deutschland insgesamt wiederum, die auch noch verschiedenster Herkunft sind, machen ganze 3,8 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Auch nach dem 11. September muss man schon sehr an Verschwörungen glauben, um aus ein paar Lehrerinnen mit Kopftuch eine Gefahr für die Demokratie und die Geschlechterbeziehungen machen zu wollen.

Worum geht es also, wenn ein ganzes Land über bildungserfolgreiche Frauen mit Kopftuch diskutiert – und nicht etwa, was viel drängender wäre, über die schlechten Bildungschancen von Migrantenkindern an deutschen Schulen? Vielleicht führt der Weg zur Erklärung über eine andere Debatte, die auch mit dem Verhalten der „türkischen Frau“ zu tun hat: jene um die Pornovergangenheit der Schauspielerin Sibel Kekilli.

Zwischen dem Widerstand gegen das Kopftuch und der Moralisierung von öffentlichem Sex besteht ein innerer Zusammenhang: Auf der einen Seite soll es verboten werden, das Haar zu verhüllen, auf der anderen Seite enthüllt die Bild-Zeitung die „Sünde“, dass zu viel vom Körper entblößt wurde. Man könnte also behaupten, dass hier darüber gestritten wird, wie viel die „türkische Frau“, die „Muslimin“, die mittlerweile eine „deutsche Debütantin“ geworden ist – so lautete der Titel von Kekillis erstem Porno –, sich in den klassischen Frauenrollen zu verhalten hat: wie viel sie als Erzieherin der Kinder anziehen darf und wie viel als Objekt der sexuellen Begierde ausziehen. Es geht offenbar um die Bedingungen von weiblicher „Integration“, aber gleichzeitig auch um korrektes Benehmen in „Frauenrollen“ allgemein.

Bislang war die „türkische Frau“ in Deutschland kaum mehr als ein Klischee. Sie könne doch gar keine Türkin sein, musste sich die Publizistin Arzu Toker vor 20 Jahren anhören – zu sehr wich sie vom verbreiteten Bild der sprachlosen, unterwürfigen Muslimin ab. Solange die „Türkin“ fremd genug blieb, waren das Klischee und die einheimische Welt noch in Ordnung. Doch mittlerweile klopfen die jungen, „integrierten“ Frauen türkischer Herkunft mit allerlei Ansprüchen an die Pforten der hiesigen Gesellschaft. Und genau an diesem Punkt fangen plötzlich die Auseinandersetzungen an – und nicht etwa bei den Schülerinnen, die aus religiösen Gründen nicht am Sportunterricht teilnehmen dürfen, obwohl da mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sogar tatsächlich Zwang im Spiel ist.

Gerade die freiwillige Verhüllung stört die etablierte sexuelle Ökonomie. Vor einigen Jahren brachte die Männerillustrierte GQ eine erotische Fotostrecke mit Yasmeen Ghauri, einem in Montreal mit einer deutschen Mutter und einem pakistanischen Vater aufgewachsenen Model. „Das ist die Frau“, schrieb die Zeitung, „die einem religiösen Symbol schärfste Konkurrenz geboten hat. Jammerschade, wenn Yasmeen Ghauri heute verschleiert herumlaufen müsste.“ Konkurrenz machen sich hier angeblich säkularisierte Offenheit und religiöse Verschlossenheit, wobei allerdings Offenheit und Freiheit wenig mehr bedeuten als körperliche Entblößung.

Als 68 die Frauen buchstäblich das Korsett der rigiden Moralvorstellungen abwarfen, galt das Ausziehen als Ausdruck von Freiheit. Derweil jedoch hat diese Befreiung bekanntlich auch zu einer verstärkten Verwandlung des weiblichen Körpers in eine Ware geführt. Ein Blick auf Zeitschriften, in die Werbung oder ins Fernsehen macht das sofort deutlich: überall halb nackte weibliche Körper in sexy Posen. In der aktuellen Ausgabe der Vogue kann man nachlesen, dass „Callgirl-Looks“ in diesen Tagen „gesellschaftsfähig“ geworden sind. Freilich müssen solche Looks bestimmte Grenzen des guten Benehmens einhalten – und die eben hat Sibel Kekilli, das „Film-Früchtchen“ (Bild), überschritten.

Bislang war die „türkische Frau“ in Deutschland kaum mehr als ein Klischee. Mittlerweile klopfen die jungen …

Nun ist Pornografie längst „gesellschaftsfähig geworden“. Wenn Videotheken keine Pornos ausleihen würden, dann müssten sie heutzutage Konkurs anmelden. Die Bilder des japanischen Pornofotografen Nobuyoshi Araki wurden in renommierten Museen gezeigt. Die pornografischen Inszenierungen der Britin Natcha Merritt haben in Deutschland ebenso für Furore gesorgt wie Thomas Ruffs „Nudes“ – Verfremdungen von expliziten Sexbildern aus dem Internet. Beim Kunstverlag Taschen kann man derzeit ein Coffeetable-–Buch mit dem Titel „The Christy-Report“ erwerben – 600 Seiten prallvoll mit Hardcore aus fünf Jahrzehnten.

Aber als Frau, zumal als „schöne Deutschtürkin“, muss man hierzulande mit Schmutzkampagnen rechnen, wenn man tatsächlich mal im Pornobusiness gearbeitet hat – Sibel Kekilli wurde von der Bild-Zeitung unterstellt, sie sei „naturgeil“. In einem Interview hat sie danach betont, dass sie „ihr eigenes Leben“ lebt. Das ist der Punkt: Anstatt zu verbieten und zu moralisieren, geht es einfach darum, anzuerkennen, dass auch die „muslimische Frau“ ihr eigenes Leben lebt – man muss sie nur lassen.

MARK TERKESSIDIS