theorie & technik
: Aller guten Dinge sind drei

Was sagt die Soziologie zur Figur des Dritten im politischen Diskurs? Ulrich Wetzel sichtet die Thesen von Habermas bis Derrida

Herrlich, den Ambitionen der kunstvoll austarierten PR-Politik gemütlich aus der Ferne zuzusehen. Da startet in den USA ein demokratischer Präsidentschaftskandidat, zunächst ohne jede Aussicht auf Erfolg, und sammelt eichhörnchengleich Staat um Staat ein. Die demokratische Troika – eine illustre Mischung aus Fleisch gewordenem Besenstiel (Kerry), Prozac-Proll (Dean) und Wanderprediger (Edwards) – zerbricht, die Szene wandelt sich zur One-Man-Show zweier Duellanten. Einfach, schön und überschaubar.

In hiesigen Breiten, wo man sich an allzu verregneten Tagen manchmal die pragmatischen Ausleseverfahren der USA wünschen würde, ist die Präsidentensuche eine Sache für geübte Strategen und gewiefte Taktiker. Die Absurdität der letzten Woche, als die FAZ bei jeder neuen Wasserstandsmeldung gleich einen „Puffer der Eventualität“ witterte und die rührige Hildegard Hamm-Brücher (für deren persönliche Eignung die Titanic beim vorletzten Staatsoberhaupts-Casting „zwei gute Gründe“ ausmachte) empört von „Schacherei, Ranküne und Trickserei“ innerhalb der Opposition sprach, wurde nur von der „verantwortungsbewussten“ Miene des jungen W. getoppt, der nach seinem Candlelight-Gipfel mit Angie und Edi nach außen Dreieinigkeit demonstrieren musste, während hinter verschlossenen Türen wohl heftig über die Unmöglichkeit einer Win-Win-Win-Situation gestritten worden war. Das Ergebnis des triadischen Spiels ist bekannt: Wenn drei sich streiten, kommt eine zweite Wahl heraus.

Immer wird es für mindestens einen der Beteiligten unangenehm, wenn ein Dritter sich aufmacht, eine exklusive Zweierbeziehung zu durchkreuzen und sie mit zusätzlichen Ansprüchen zu beschweren – siehe die ödipale Konstellation bei Freud, siehe den hybriden „third space“ in der Kulturtheorie Homi Bhabhas, siehe den „dritten Weg“ von Anthony Giddens. Festzuhalten ist deshalb: Gäbe es kein Drittes in den menschlichen Beziehungsmustern und politischen Ordnungsentwürfen, wir müssten uns wohl den lieben langen Tag mit ätzenden Dualismen und festgefrorenen Binaritäten herumschlagen (und in der Tat soll es so eine bleierne Zeit ja einmal gegeben haben).

Der Soziologe Dietmar J. Wetzel schreibt der Figur des Dritten eine gewichtige Rolle in den Diskursen des Politischen zu, die allerdings bislang theoretisch unterbelichtet geblieben sei. In seiner äußerst ambitionierten, wenn auch etwas mühselig zu lesenden Dissertation geht es ihm darum, anhand politischer Leitbegriffe wie Gerechtigkeit, Geschlecht und Gemeinschaft die Rolle des Dritten zu untersuchen: „Fungieren Dritte nur als Schnittstelle oppositioneller Bestimmungen oder doch eher als eigenständige Figur? Reicht das Spannungsfeld der Figuren des Dritten tatsächlich von Vermittlung über Verstörung bis hin zur Unterbrechung?“

Ohne dass Wetzel diese Fragen endgültig beantworten könnte und wollte, gelingt es ihm immerhin, zwei philosophische Diskursformationen zu identifizieren, die sich in ihrer Stellung zum tertiären Sektor des Politischen radikal voneinander unterscheiden: einmal die rekonstruktiv-moderne Linie von Habermas, Benhabib und Walzer, zum anderen die dekonstruktiv-postmoderne Linie von Derrida, Cornell und Nancy.

Während Erstere das Dritte eher als eine neutrale, unparteiliche Instanz auffasst und seine Einbeziehung in die Sphäre des Eigenen mit guten Gründen für möglich hält, betone Letztere vor allem die potenzielle Unversöhnlichkeit mit dem „weiteren Anderen“ (Georg Simmel). Orientiert an der radikalen Alteritätslehre von Emmanuel Lévinas und der Fremdheitsphänomenologie von Bernhard Waldenfels, plädiert Wetzel deshalb für weitere „Grenzöffnungen“ bei einer Neubestimmung des Politischen.

Wie schwer aber eine „übersetzende“, also: auf den produktiven Austausch mit einen unzugänglichen Dritten orientierte Politik zu denken ist, zeigt bereits Wetzels Rekurs auf Derridas politique d’amité, die „jenseits der wechselseitigen Genossenschaft“, also ohne ein symmetrisches Ziel, konzipiert ist. Derrida schreibt: „Die gute Freundschaft setzt das Ungleichgewicht, die Unverhältnismäßigkeit voraus. Sie erfordert eine bestimmte Unterbrechung der Wechselseitigkeit oder der Gleichheit, einen Bruch auch mit jeder Verwechslung oder Vermischung von Ich und Du.“

Diesen Satz werden sich sämtliche politischen Duzfreunde und Dreierbünde künftig über den Spiegel hängen müssen.

JAN ENGELMANN

Dietmar J. Wetzel: „Diskurse des Politischen. Zwischen Re- und Dekonstruktion“. Wilhelm Fink Verlag, München 2003, 330 Seiten, 42,90 €