1. Mai zum Selberbrennen

Linksradikale wollen „erlebnisorientierte Jugendliche“ für Mai-Randale begeistern. Dafür verteilen sie CD-ROMs an Kreuzberger Schulen. Die gebrannten Infos sind reichlich alt. Polizei bleibt gelassen

VON PLUTONIA PLARRE

Nicht genug damit, dass sich Freunde der Militanz und Polizei seit 17 Jahren an jedem 1. Mai in Kreuzberg eine Straßenschlacht liefern. Nun versuchen die Kontrahenten auch noch, sich gegenseitig die Kombattanten streitig zu machen. Im Mittelpunkt des Interesses steht eine ganz spezielle Klientel: die der Jungberliner im Alter zwischen 12 und 22 Jahren, für die die Polizei den Begriff „erlebnisorientierte Jugendliche“ geprägt hat. Nach den Uniformierten hat nun auch die linksradikale Szene diese Kids als Zielgruppe für ihre Werbekampagne rund um den 1. Mai entdeckt: Vor zwei Kreuzberger Schulen sind vergangene Woche kostenlose CD-ROMs mit dem Titel „Musik, Filme & Texte für erlebnisorientierte Jugendliche und Krawalltouristen“ verteilt worden. Dabei ist auch ein Exemplar in die Hände des Staatsschutzes gelangt. Eine offizielle Bewertung steht noch aus. Zuvor müsse die CD auf einen eventuellen strafbaren Inhalt hin überprüft werden, hieß es.

Nach Informationen der taz soll die Disc in einer Auflage von 10.000 Stück gebrannt worden sein. Sie sei dazu bestimmt, die aufwändige Plakataktion zu ersetzen, mit der in den Vorjahren zur Teilnahme an den „Revolutionären 1.-Mai-Demonstrationen“ aufgerufen wurde. „Bitte kopieren und weitergeben“, heißt es im Einleitungstext, der von den anonymen Machern mit „1. Mai – Chaoten greifen an“ über- und dem Logo „supportet by ETA“ unterschrieben ist.

Sachkundige Betrachter, die sich durch die Links klicken, werden aber schnell feststellen, dass nur das Medium selbst neu ist. Der Inhalt ist alt. Das Ziel, den „Bullen“ und dem „faschistischen Berliner Senat“ einen 1. Mai 2004, „so schlimm wie noch nie“, zu bereiten, ist in der Vergangenheit schon vielfach in einschlägigen Publikationen formuliert worden. Das Gleiche gilt für die Verhaltensmaßregeln bei Festnahmen („Zwei Groschen fürs Telefonieren mitnehmen“) oder Tipps zum Abfackeln von Autos nebst Bastelanleitung für Molotow-Cocktails: „Die wirksamste Waffen gegen Bullen und ihre Fahrzeuge ist der Mollli …“

Zudem sind auf der CD zahlreiche Filme von vergangenen Straßenschlachten in Berlin und bei Gipfeltreffen – etwa in Genua oder Thessaloniki – zu finden. Auch das ist nicht neu. Und die Großaufnahmen von Neonazis bei Demonstrationen, unter der Überschrift „zum Abschuß freigegeben“, konnte man bereits im Internet und in Druckerzeugnissen der Antifa finden.

Beachtung verdient die CD auch nicht wegen der Fotos von bluttriefenden Polizistengesichtern oder den Gewalt ästhetisierenden Schatten von Straßenkämpfern im Gegenlicht brennender Barrikaden. Der Grund sind vielmehr die auf dem Cover als Zielgruppe ausgewiesenen „erlebnisorientierten Jugendlichen“. Genau jene Gruppe, die Polizei und Bezirkspolitiker seit ein paar Jahren mit Sport- und Kulturveranstaltungen vom Steineschmeißen abhalten wollen. Das Gegenangebot auf der CD lautet: „Mollis werfen. Wenn ihr nicht selber werfen wollt, könnt ihr auch Kisten mit Mollies an die Straße stellen, so dass sich andere bedienen können.“

Bislang ist die CD nur an zwei Kreuzberger Schulen aufgetaucht. Spätestens wenn sie auch unter den Schülern in Wedding und Neukölln zu kursieren beginnt, wird die Polizei ihre Anti-Gewalt-Werbekampagne für den 1. Mai wohl ein wenig aufpolieren müssen. Aber dort sieht man das Ganze sportlich: „Es gibt zwei Angebote. Der Schüler entscheidet“, so ein Beamter zur taz.