Verdachtsunabhängiger Rettungsschuss

Noch bevor ein neuer Innensenator benannt ist, diskutiert die CDU über den gläsernen Bürger und mehr Rechte für die Polizei. Die FDP beklagt „Wählertäuschung“ und „ein Stück Überwachungsstaat“, die Hamburger SPD „grenzwertigen Schwachsinn“

„Eine Videokontrolle der Reeperbahn kann nur ein aus Bayern stammender Polizei-präsident fordern“

Von Marco Carini

Es ist ein finaler Schnellschuss: Noch bevor sich die neue CDU-Landesregierung formiert hat, der Job des Innensenators neu vergeben ist, diskutieren die Christdemokraten eilfertig über die Verschärfung des Hamburger Polizeigesetzes, die ihnen der frühere Koalitionspartner FDP bislang verwehrte. Den Debatten-Startschuss feuert der Hamburger Chef der im Beamtenbund organisierten Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lenders ab: Der gerade aus der Bürgerschaft ausgeschiedene Ex-CDU-Parlamentarier nutzt seine neuen Freiheiten, um eine Woche nach der Wahl nun via Hamburger Abendblatt mehr Befugnisse für sein gewerkschaftliches Klientel einzuklagen.

Lenders Forderungskatalog recyclet dabei alles, was der rechte CDU-Flügel wie auch die Schill-Partei in der vergangenen Legislaturperiode koalitionsintern nicht gegen die FDP durchsetzen konnten: Verstärkte Videoüberwachung am Hauptbahnhof und anderen Kriminalitätsbrennpunkten sowie verdachtsunabhängige Kontrollen von Privatpersonen durch die Polizei. Auch die Möglichkeit, Demonstranten, Hooligans und Dealer für längere Zeit im „Unterbringungsgewahrsam“ festzusetzen, fehlt ebenso wenig im Lenders‘schen Sicherheitspaket wie die Forderung nach klaren gesetzlichen Regelungen für den „finalen Rettungsschuss“, so der Polizei-Fachbegriff für die gezielte Tötung von Personen in (vermeintlichen) Notwehrsituationen. All diese Ausweitungen heutiger Polizeirechte könnten in einer Novelle des Hamburger Sicherheits- und Ordnungsgesetzes verankert werden.

Den erwarteten Applaus für seinen Nachwahl-Vorstoß erhält Lenders von seinem ehemaligen Fraktionskollegen Karl-Heinz Warnholz. Der findet verdachtsunabhängige Kontrollen „ganz wichtig“, und die verstärkte Videoüberwachung „sinnvoll“. Auch die SPD ist bereit, so betont ihr innenpolitischer Sprecher Michael Neumann, „über die Einschränkung von Freiheitsrechten zu diskutieren, wo es sicherheitspolitisch notwendig ist“. Allerdings dürften Regelungen zum finalen Rettungsschuss nicht dazu führen, „dass in Zukunft locker aus der Hüfte geschossen“ werde.

Der justizpolitische Sprecher der nicht länger mit Regierungsauftrag betrauten FDP, Burkhardt Müller-Sönksen, sieht hingegen in dem Lenders‘schen Vorstoß „ein Muskelspiel, mit dem ein Stück Überwachungsstaat installiert werden“ soll. Der Liberale warnt vor „überflüssigen Sicherheitsattitüden der Polizei, für die es schon heute genügend gesetzliche Eingriffsrechte“ gäbe. Wenn hier das aufgegeben werden soll, was die FDP und ein liberaler Bürgermeister an Befugnisbegrenzung der Polizei in der Koalition durchgesetzt hätten, käme das für Müller-Sönksen „einer Wählertäuschung gleich“. Auch der FDP-Nachwuchs hat eine Meinung zu dem Kontrollpaket: „Der Geist von Schill lebt in der CDU fort“, bringen Hamburgs Junge Liberale ihre Einschätzung der losgetretenen Sicherheitsdebatte auf einen griffigen Nenner.

Vorsichtig auf die Bremse tritt die im DGB organisierte Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Wir haben bereits 100 Überwachungskameras im Bereich des Hauptbahnhofs“, klärt der Hamburger GdP-Geschäftsführer Jürgen Lamp auf und gibt dabei zu bedenken: „Was nützt mir eine noch lückenlosere Überwachung, wenn ich nicht das Personal habe, dass die Monitore kontinuierlich überwacht – und keine abrufbare Polizei vor Ort, die eingreifen kann, wenn Straftäter identifiziert werden.“ Lamp plädiert für zudem für „klare Fristsetzungen“ bei der Vernichtung der Videoaufzeichnungen und zeigt sich skeptisch gegenüber der geäußerten Forderung nach verdachtsunabhängigen Personenkontrollen: „Hier werden wir uns an nichts beteiligen, was polizeilichen Willkürmaßnahmen Tür und Tor öffnet.“

Hamburgs Datenschutzbeauftragter Hans-Herrmann Schrader warnt ebenfalls vor der Ausweitung der Polizeibefugnisse: „Wir sind prinzipiell gegen verdachtsunabhängige Kontrollen und auch dagegen, dass die Videobeobachtung in eine flächendeckende Innenstadtüberwachung ausartet.“

Gegen eine umfassende City-observation spricht sich auch SPD-Politiker Neumann aus. Vorschläge wie die Reeperbahn per Video zu kontrollieren, wie es Hamburgs Polizeipräsident Udo Nagel fordere, seien „grenzwertig schwachsinnig“. Neumann: „So was kann nur ein zugereister Bayer fordern, der von Hamburg keine Ahnung hat.“