Weißkittel treten zurück

Über 2.000 DirektorInnen von Forschungsinstituten legen aus Protest gegen Mittelkürzungen durch die Pariser Regierung ihre Ämter nieder

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Mehr als 2.000 DirektorInnen von Forschungsinstituten und -labors in Frankreich sind gestern kollektiv von ihren Leitungspositionen zurückgetreten. Ihren angekündigten Rücktritt aus Protest gegen das „finanzielle Ersticken der Grundlagenforschung“ haben die NaturwissenschaftlerInnen im Rathaus von Paris angekündigt. Zuvor hatte ihnen die Sorbonne einen Saal für die Sitzung verweigert.

Ein großer Teil der französischen Grundlagenforschung ist damit kopflos. Die Leitung der Institute und Labors ist zwar bis auf wenige Ausnahmefälle mehrheitlich ehrenamtlich, aber sie besteht in echter Arbeit. Unter anderem gehören das Lobbying, die Überwachung der Forschungsprojekte, die Sicherheit und Hygiene sowie die Personalpolitik zu den Aufgaben der DirektorInnen. Die rechte Regierung in Paris will die Öffentlichkeit dennoch glauben machen, dass die Forschungsarbeit nach dem Eklat unverändert weitergehe. Am Sitz des Premierministers heißt es sogar: „Bei der Gelegenheit können wir uns gleich einiger Querulanten entledigen.“

Der Kollektivrücktritt ist der vorläufige Höhepunkt einer bespiellosen Protestbewegung. Niemand hätte vor zwei Monaten erwartet, dass die Petition „Rettet die Foschung“, lanciert von ein paar Leuten, die mehr Erfahrung im Labor als mit politischen Protesten haben, einen derartigen Erfolg haben würde. Mehr als 66.000 der insgesamt 104.000 ForscherInnen in den staatlichen Einrichtungen Frankreichs haben sie bis gestern Mittag unterzeichnet. Tendenz: weiter rasant steigend. Die ForscherInnen verlangen in ihrer Anfang des Jahres lancierten Petition (recherche-en-danger.apinc.org) vor allem drei Maßnahmen: die sofortige Wiederherstellung von 550 Planstellen für Nachwuchstalente, eine Aufstockung der staatlichen Mittel für die Forschung und eine Grundsatzdebatte über die Forschung in Frankreich.

Die rechte Regierung in Paris, die in den vergangenen Wochen auch mit einer Resolutionsbewegung von Künstlern und anderen SozialwissenschaftlerInnen konfrontiert war, hat lange gewartet, bis sie auf die Proteste der Forscher reagierte. Während sie gegenüber den gegen Steuererhöhungen demonstrierenden TabakhändlerInnen und der ebenfalls über ihre Abgabenhöhen unglücklichen RestaurantbesitzerInnen sehr schnell mit dem Scheckbuch und der Zusage von Ausgleichszahlungen reagierte, versuchte sie die Proteste aus den Labors als „politisches Manöver“ zu diskreditieren. Erst am Samstag sagte Regierungschef Jean-Pierre Raffarin dem Erfinder der Abtreibungspille und Präsidenten der nationalen Wissenschaftsakademie Baulieu ein zusätzliches Paket von 3 Milliarden Euro bis ins Jahr 2007 zu.

Doch Versprechungen haben die ForscherInnen schon oft gehört. Jetzt wollen sie sofortige und feste Zusagen über Stellen für Nachwuchstalente, damit der Braindrain in die USA und nach Japan aufhört. Staatspräsident Jacques Chirac hatte in seinem letzten Wahlkampf versprochen, dass er die Forschung eine „nationale Priorität“ werden würde. Das klagen die Weißkittel aus den physikalischen, medizinischen, geologischen und anderen Labors des Landes heute ein.