Wer sich beschwert, wird verklagt

Flüchtlinge im brandenburgischen Rathenow beklagten sich öffentlich über Neonazis unter dem Wachpersonal ihres Wohnheims. Nun stehen sie wegen übler Nachrede vor Gericht. Der Verfassungsschutz allerdings bestätigt ihren Vorwurf

Der Anwalt: „Es geht darum, politisch denkende Flüchtlinge mundtot zu machen“

AUS RATHENOW MARTIN KRÖGER
UND ALEX VEIT

Flüchtlinge, die Kritik an ihrer Unterbringung geäußert haben, müssen sich im brandenburgischen Rathenow vor Gericht verantworten. Heute verhandelt das Amtsgericht Rathenow gegen den 28-jährigen Mohamed Abdel Amine aus Togo und den 34-jährigen Palästinenser Mohamad Mahmoud. Ihnen wird üble Nachrede vorgeworfen.

Beide hatten sich im Sommer 2002 gemeinsam mit sechzig anderen Bewohnern des Asylbewerberheims Rathenow mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt. Darin prangerten die Flüchtlinge an, dass die Wachschutzfirma „Zarnikow“, die zur Sicherung der Unterkunft eingesetzt wurde, Neonazis beschäftige. Außerdem beschuldigten sie die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die das Wohnheim betreibt, private Briefe geöffnet zu haben. Zudem seien AWO-Mitarbeiter unberechtigt in die Zimmer der Bewohner eingedrungen. „Nach unseren Beschwerden erklärte die Heimleitung, dazu sei sie durch Bestimmungen zur Rasterfahndung verpflichtet“, heißt es in dem Schreiben.

Sowohl die Wachschutzfirma als auch die AWO zeigten die Verfasser wegen übler Nachrede an. Doch inzwischen hat sich der wichtigste Vorwurf der Asylbewerber bestätigt. Der Brandenburger Verfassungsschutz schrieb im August 2002 in einem internen Bericht, dass die Wachleute der Firma Zarnikow zum Teil „dem Kern der rechtsextremistisch orientierten Szene Rathenow angehören und der einschlägigen Gruppierung ‚Kameradschaft Hauptvolk‘ zugerechnet werden müssen“. Der Bericht liegt der taz vor. Im Januar 2003 wurde die Wachschutzfirma auf eigenen Wunsch von ihren Aufgaben entbunden.

Trotz dieser Enthüllungen ermittelte die Staatsanwaltschaft Potsdam weiter gegen zwei der Unterzeichner des offenen Briefes. „Es ist auffällig, dass die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft so ein starkes Interesse an der Verfolgung dieses Falles entwickelt hat“, sagte Ulrich von Klinggräff, der Anwalt von Abel Amine, der taz. Er spricht sogar von einem „Strafverfolgungswahn“ der Ermittler: „Meiner Meinung nach geht es darum, politisch denkende Flüchtlinge mundtot zu machen.“

Die AWO verteidigte dagegen den Gang vor Gericht. Es sei „wohl kaum hinnehmbar, sich solcherart ungerechtfertigt öffentlich beschimpfen zu lassen“, erklärte Ralf Schröder, Geschäftsführer des AWO-Kreisverbandes Havelland, auf Anfrage der taz. Die Kündigung des Vertrags mit Zarnikow sei kein Eingeständnis, dass die Vorwürfe der Asylbewerber zuträfen: „Die Firma hat selbst den Auftrag abgeben wollen.“ Auch der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Ralf Roggenbuck, hält die Erhebung der Anklage für zulässig. „Wenn das Gericht der Meinung gewesen wäre, der Fall wäre eine Bagatelle, hätte es die Akten an uns zurückgeschickt“, sagte Roggenbuck der taz.

In einem ähnlichen Verfahren gegen einen anderen Rathenower Asylbewerber vor zwei Jahren hatte der damals zuständige Richter allerdings deutlich gemacht, dass er das Verhalten der Staatsanwaltschaft für falsch hielt. Der damalige Angeklagte, Christopher Nsoh, hatte sich nach einem rechtsradikalen Angriff über das Verhalten zweier Polizistinnen beklagt. Nachdem sein Begleiter, ein Journalist aus Hongkong, von einem Rechtsradikalen geschlagen worden sei, hätten die Beamtinnen den Mann „im Polizeigriff“ auf die Wache gebracht. Die Polizei zeigte Nsoh wegen übler Nachrede an. Im Anschluss an das eingestellte Verfahren wurde der ermittelnde Staatsanwalt von seiner vorgesetzten Stelle gerügt, weil er Material, das Nsoh entlastet hätte, zurückgehalten hatte.

Sowohl Nsoh als auch Abdel Amine und Mohamad Mahmoud sind Mitglieder der Flüchtlingsinitiative Brandenburg (Fib). Diese setzt sich durchaus erfolgreich gegen Rassismus in Ämtern und Gesellschaft ein. Nachdem die Fib vor vier Jahren von den Behörden verlangte, die Flüchtlinge entweder vor rechtsradikalen Angriffen zu schützen oder sie zu verlegen, geriet das Land Brandenburg auch international in die Schlagzeilen. Im Anschluss an den „Aufstand der Anständigen“ im Dezember 2000 zeichnete die „Internationale Liga für Menschenrechte“ die Fib für ihr Engagement mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille aus.

Abdel Amine, der wegen seiner Mitgliedschaft in der Oppositionspartei „Union des Forces du Changement“ aus Togo fliehen musste, will diese antirassistische Arbeit fortführen. Er ist optimistisch, vor Gericht belegen zu können, dass Mitarbeiter der AWO unberechtigt Briefe öffneten und in private Zimmer eindrangen. Sollte dies zutreffen, könnte sich die Strafanzeige der Wohlfahrtsorganisation gegen diese selbst richten: „Wenn die Institutionen in diesem Land versuchen, uns durch Verleumdungsklagen zum Schweigen zu bringen, werden wir diese Prozesse als politische Plattform nutzen“, so Amine zur taz.