„In fünf Jahren brauchen wir die Älteren“

Dass Arbeitnehmer über 55 Jahre keinen Job finden, wird sich bald schlagartig ändern, meint der Rentenexperte Axel Börsch-Supan. Zuwanderung qualifizierter Kräfte könnte helfen. Aber: „So viele wollen gar nicht nach Deutschland“

taz: Herr Börsch-Supan, die SPD-Linke hat im Rentenstreit durchgesetzt, dass der Staat eingreifen soll, wenn das Rentenniveau unter 46 Prozent zu fallen droht. Was bedeutet das?

Axel Börsch-Supan: Die demographische Entwicklung lässt ein höheres Mindestrentenniveau als 43 Prozent bei einem Beitragssatz von 22 Prozent leider nicht zu. Der einzige Ausweg, um 46 Prozent zu erreichen, ist ein um etwa zweieinhalb Jahre höheres faktisches Renteneintrittsalter. Dagegen sperrt sich die SPD-Linke allerdings auch. Insofern passt dies alles nicht zusammen und schadet dem Vertrauen in die Rentenversicherung.

Wenn man die Beiträge nach oben und die Auszahlungen nach unten begrenzt, ist der nächste Schritt also eine längere Lebensarbeitszeit.

Das ist ja auch vernünftig! Wenn wir alle länger leben, müssen wir in Zukunft auch länger arbeiten. Wenn in den nächsten 30 Jahren das faktische Rentenalter um zwei Jahre steigt, ist ein Mindestrentenniveau von 43 Prozent leicht zu erreichen. Hier kommt der Nachhaltigkeitsfaktor ins Spiel: Je länger gearbeitet wird, um so schwächer fällt dieser Faktor aus, und die Rente steigt.

Leider stellt nur jeder zweite Betrieb Arbeitnehmer ein, die älter als 55 Jahre sind.

Das stimmt – für den Augenblick. Nur: Dieser Zustand wird sich wegen der demographischen Entwicklung schlagartig ändern. Schon in fünf Jahren können wir ältere Arbeitnehmer nicht mehr in Frührente schicken, sondern werden sie sehr nötig brauchen.

Frührentnern drohen bei einer längeren Regelarbeitszeit Einbußen. Ist das mit dem Vertrauensschutz vereinbar?

Bei einer Rentenversicherung bindet man sich für 40 oder 50 Jahre. Es wäre absurd, wenn nach 50 Jahren immer noch genau die gleichen Regeln gelten würden. Der Vertrauensschutz muss also eine vernünftige Grenze haben. Wenn man Mitte 50 ist, sollte eine verbindliche Lebensplanung möglich sein. Aber einem 45-Jährigen kann man sehr wohl zumuten, sich anzupassen.

Wer gewinnt, wer verliert bei der Rentenreform?

Das Gesetz sorgt dafür, dass auch die ältere Generation ihr Scherflein beiträgt, indem die Renten nicht ganz so schnell wachsen. Die jungen Erwerbstätigen werden entlastet. Diejenigen, die in zehn oder zwanzig Jahren in Rente gehen, bekommen eine schwächere Rente, als sie sich vorgestellt haben. Genau diese Umverteilung zwischen den Generationen brauchen wir aber, weil sonst das Rentensystem nicht mehr finanzierbar ist – und damit ist weder der jungen noch der alten Generation geholfen.

Würde mehr Zuwanderung das Rentensystem retten?

Zuwanderung hilft – vor allem, wenn die Zuwanderer hoch qualifiziert sind. Man darf sich aber keine Illusionen machen: Es wird in den nächsten 30 Jahren rund zehn Millionen mehr Rentner geben. Das kann man unmöglich durch Zuwanderung ausgleichen. So viele wollen gar nicht nach Deutschland.

Die Alternative wäre eine aktive Bevölkerungspolitik.

Fragen Sie mal Eltern, wie lange es dauert, bis die Kinder auf eigenen Beinen stehen! Wenn wir jetzt aktive Bevölkerungspolitik machen würden, würde sich diese frühestens in 30 Jahren für die Rentenkasse auszahlen. Das Konzept ist langfristig sinnvoll, aber die Probleme der nächsten Jahrzehnte löst man dadurch nicht.

Die SPD-Linke fordert höhere Zuschüsse für das Rentensystem.

Ja, wenn der Finanzminister so viel Geld hätte! Für einen höheren Zuschuss müssten die Steuern erhöht werden – und das wären nur neue Belastungen für die Erwerbstätigen.

Außerdem sollen Beamte und Selbstständige einbezogen sowie Kapital- und Mieteinkünfte berücksichtigt werden.

Die Einbeziehung von Beamten schadet nur, weil die Beamten ein großzügigeres Rentensystem haben. Ein solcher Schritt liefe darauf hinaus, dass die Angestellten die Beamten subventionieren. Auch eine Einbeziehung der Selbstständigen würde aus einem ähnlichen Grund nicht viel bringen.

Und die Miet- und Kapitaleinkünfte?

Die Berücksichtigung von Miet- und Kapitaleinkünften ist ebenfalls problematisch. Solange die Rente proportional zu den Einzahlungen ist, würde das bedeuten, dass diejenigen, die mehr einzahlen, auch mehr herausbekommen. Das rechnet sich also langfristig auch nicht. Die einzige Möglichkeit wäre, dass man die Beiträge von den Auszahlungen entkoppelt. Die, die viel verdienen, müssen viel einzahlen, bekommen aber eine niedrige Rente. Das würde aber neue Probleme schaffen, weil die Reichen versuchen würden, die Rentenversicherung zu umgehen.

Eine steuerfinanzierte Grundrente ist keine Lösung?

Ich glaube nicht. Wir müssen in die umgekehrte Richtung gehen: Wir müssen den Arbeitnehmern klar machen, dass sie für ihre Rente auch wirklich etwas bekommen. Denn trotz der Reformen lohnt sich die gesetzliche Rente, weil sich die Leistungen an den gezahlten Beiträgen orientieren. Das ist etwas völlig anderes als eine steuerfinanzierte Grundrente, bei der sich für die obere Einkommenshälfte das Einzahlen nicht mehr lohnt. Und wir brauchen die obere Hälfte, um das System zu finanzieren.

Was muss über das jetzige Gesetz hinaus getan werden?

In dem Gesetz fehlt eine Anhebung der Altersgrenzen in den nächsten 35 Jahren. Das halte ich für einen schweren Fehler.

Die Union will die Beiträge auf unter 20 Prozent senken. Was wären die Konsequenzen?

Es müsste entweder noch länger gearbeitet oder das Rentenniveau abgesenkt werden. Wenn die Beiträge um zwei Prozentpunkte sinken, dann gehen zehn Prozent des Finanzvolumens verloren. Damit kann man also nur zehn Prozent weniger Renten finanzieren. INTERVIEW:

ANDREAS SPANNBAUER