Ganz Kreuzberg dreht am Rad

Ein Investor plant ein 175 Meter hohes Riesenrad auf dem Gleisdreieck. Doch die Anwohner wollen lieber picknicken

„Wie kann man unbefangen in einem Park picknicken – im Schatten eines Riesenrads?“

Das geplante Riesenrad auf dem Gleisdreieck könnte eine echte Touristenattraktion werden. 175 Meter hoch wäre es das größte Riesenrad der Welt und zu Fuß erreichbar vom Potsdamer Platz – das überdimensionale Karussell würde scharenweise Besucher anziehen. Darin sind sich alle einig. Egal, ob man es eher als ein „kulturelles Highlight“ betrachtet wie Bausenator Peter Strieder (SPD) oder als eine „technische Attraktion“ wie der Kreuzberger Baustadtrat Franz Schulz. Noch vor einem Jahr war er wenig begeistert: Einen Vorteil für Kreuzberg sehe er nicht in dem Projekt. Heute denkt Schulz pragmatisch: „Jeder Stadtteil muss zur Attraktivität Berlins beitragen.“

Initiator des Riesenrads ist der ehemalige Kreuzberger Verleger Dirk Nishen, und der kennt sich aus mit spektakulären Touristenattraktionen: Nishen gilt als Erfinder der Infobox, die zwischen 1995 und 2001 acht Millionen Besucher an die Baustelle auf dem Potsdamer Platz lockte. Auch die populäre Ku’damm-Ausstellung „Story of Berlin“ wurde von Nishen konzipiert.

Von der Sogwirkung eines Riesenrads auf dem Gleisdreieck könnte auch das benachbarte Deutsche Technikmuseum profitieren, das im Konkurrenzkampf zwischen den Berliner Museen gerne missachtet wird. „Mit einem anliegenden Riesenrad wäre das Technikmuseum im gesamten Stadtgebiet erkennbar“, sagt Stadtrat Schulz. Doch einen fröhlichen Rummelbetrieb durch Buden rund um das Riesenrad schließt der Baustadtrat entschieden aus: „Wir wollen keinen Freizeitpark, darüber besteht Konsens.“

Was es allerdings geben wird, ist ein großer Parkplatz für die Touristenbusse. Auf einen Stellplatz für 40 Busse habe man sich geeinigt, so Schulz. Denn irgendwie müssen die künftigen Touristenströme ja angekarrt werden. Keine verlockende Aussicht für die Anwohner. Neben dem zu erwartenden Verkehrsaufkommen befürchten die Nachbarn zudem, dass das Riesenrad negative Auswirkungen auf den geplanten Park auf der Brachfläche haben könnte: „Wie kann man unbefangen in einem Park picknicken, wenn man immer im Schatten des Riesenrads bleibt?“, fragt Matthias Bauer von der AG Gleisdreieck. In der Bürgerinitiative seien fast alle gegen das Rad.

Die Anwohner haben Glück im Unglück. Denn genauso wie der Park, den sie seit 20 Jahren auf dem Gleisdreieck fordern, hängt auch die Entscheidung darüber, ob es ein Riesenrad geben wird oder nicht, von einer Einigung mit der Bahntochter Vivico ab, der ein großer Teil des Geländes gehört. Bevor die Rahmenvereinbarungen mit der Vivico nicht abgeschlossen sind, wird es keine endgültigen Nutzungskonzepte auf dem Gleisdreieck geben. Bezirk und Vivico haben sich bereits geeinigt: 20 Hektar bleiben als Baufläche bei der Vivico, 16 Hektar sollen für den Park zur Verfügung stehen. Der Grund für die Verzögerungen liegt laut Baustadtrat Schulz Schulz mittlerweile woanders: Auch dem Land Berlin gehört ein Teil des Gleisdreiecks. Bei den Verhandlungen zwischen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der Vivico gebe es jedoch noch „erhebliche Schwierigkeiten“. Die Verhandlungen liefen noch, heißt es in der Senatsverwaltung.

Die Anwohner sind frustriert: „Seit sechs Jahren nichts als Stillstand“, klagt Matthias Bauer. Die AG Gleisdreieck will nun eine Genossenschaft gründen und sich als Träger für die Verwaltung und Pflege eines zukünftigen Parks bewerben. „Damit wollen wir Verantwortung und Interesse zeigen und uns auch finanziell an der Entstehung des Parks beteiligen.“ Die Genossenschaft könnte mehr als eine symbolische Übung werden, der Bezirk hat Interesse signalisiert.

Auch der Forderung der Anwohner, das Gleisdreieck so bald wie möglich als Erholungsgebiet zu öffnen, will der Bezirk nun nachkommen. Eine Zwischennutzungs-Übereinkunft mit der Vivico macht’s möglich: Ein Rundweg soll durch den südlichen Teil des Gleisdreiecks zwischen Möckern- und Yorckstraße führen. Baustadtrat Schulz rechnet mit einer Einweihung schon im Mai. WIBKE BERGEMANN

Info-Veranstaltung: Heute, 19 Uhr, Gemeindesaal Wartenburgstraße 7