Mit Sicherheit mehr Zuwanderung

Die Union nutzt die Anschläge von Madrid als Argumentationshilfe im Zuwanderungsstreit. Schärfere Ausweisungsregelungen als Bedingung für eine Einigung. Die rot-grüne Koalition erklärt sich bereit, die genauen Forderungen am 21. März anzuhören

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

„Nein“, sagt Otto Schily, als er zu den Verhandlungen mit der Union in die saarländische Landesvertretung kommt. Nein, die Terroranschläge in Madrid hätten keine Auswirkungen auf das deutsche Zuwanderungsgesetz. Warum auch? Für den Innenminister spricht „die größere Wahrscheinlichkeit“ dafür, dass die baskische Untergrundorganisation ETA die Attentate verübt hat. Dann wären sie ein innerspanisches Problem – und kein Grund, die deutschen Gesetze zu verschärfen. Genau das aber wollen die Vertreter der Union, die sich neben Schily aufgebaut haben.

CDU-Verhandlungsführer Peter Müller und der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) nutzen das aktuelle Entsetzen, um ihren alten Forderungen nach erleichterter Ausweisung potenzieller Terroristen Nachdruck zu verleihen. Beckstein folgt dem nach Katastrophen typischen Politikerreflex (wenig wissen, viel sagen) und spricht über die „denkbare Zusammenarbeit“ zwischen ETA und dem Terrornetzwerk al-Qaida. Für ihn reicht der Verdacht internationaler Beteiligung, um davor zu warnen, „dass wir im Visier der Terroristen stehen“. Aus Becksteins Sicht ergibt sich daraus zwingend, „gewaltbereite Ausländer leichter abzuschieben“. Das hatte die Union schon vor den Anschlägen gefordert, nun erhöht sie den Druck. Müller bezeichnet eine Einigung über die Sicherheitsfragen als “unabdingbare Voraussetzung“ für ein Ja zum Zuwanderungsgesetz.

Damit ist klar: Schily kann das Thema nicht mehr ausklammern. Er hatte sich bislang dafür ausgesprochen, das Problem der Ausweisungsregeln separat zu behandeln. Aus und vorbei. Rot-Grün geht auf die Forderungen ein. „Wir werden mit Sicherheit auch über die Sicherheitsfragen sprechen“, sagt SPD-Unterhändler Dieter Wiefelspütz. „Das ist völlig klar, nach diesem Attentat in Spanien erst recht.“

Auch der grüne Verhandlungsführer Volker Beck deutet Gesprächsbereitschaft an, betont allerdings, es gebe bisher keine hinreichende Analyse, dass die nach dem September 2001 verabschiedeten Antiterrorgesetze nicht ausreichten. Ähnlich äußert sich der FDP-Abgesandte Max Stadler. Er warnt vor „Schnellschüssen“ und sagt, Menschen schon aufgrund eines Verdachts auszuweisen sei „rechtsstaatlich bedenklich“.

Die Union kennt solche Skrupel nicht. Müller fordert in Bezug auf die Ausweisungsbestimmungen einen „Systemwechsel, weg von einer strafrechtlichen Betrachtung, hin zur Gefahrenabwehr“. Dem Staat müsse es erlaubt sein, potenzielle Terroristen auszuweisen, „nicht erst, wenn eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt“. Beckstein erinnert an den Fall des kürzlich freigesprochenen Terrorverdächtigen Abdelghani Mzoudi. „So was nicht ausweisen zu können verstößt gegen elementare Sicherheitsinteressen.“ Was Beckstein stört: Nach geltendem Recht ist die Ausweisung eines legal in Deutschland lebenden Ausländers erst dann möglich, wenn er zu einer Haftstrafe ab drei Jahren verurteilt wurde.

Ob und wie die Gesetzeslage geändert wird, darüber wurde in der gestrigen Verhandlungsrunde nicht gesprochen. Man verständigte sich aber darauf, dass die Union ihre genauen Wünsche beim nächsten Termin am 21. März vortragen darf. Die gestrige Annäherung in anderen Fragen (Spätaussiedler, Integration und Nachzugsalter) könnte dann rasch zur Makulatur werden. „Das Thema Sicherheit wird wohl der schwierigste Punkt“, sagte FDP-Unterhändler Stadler der taz. Schließlich gebe es da „sehr gegensätzliche Positionierungen bei Union und Grünen“.