Eine irrationale Panik

VON MICHAEL SOMMER

Nein, Deutschland ist kein anderes Land geworden, in dem Jahr seit der Verkündung der Agenda 2010. Dieser Prozess hat schon seit längerem begonnen. Es war die Regierung Kohl, die mit einer beispiellosen Umverteilung von unten nach oben begonnen hat, in deren Folge die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden sind.

1998, als die Regierung Helmut Kohls den Bogen mit dem Abbau von Arbeitnehmerrechten überspannt hatte (Verschärfung Kündigungsrecht, Einschränkung Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etc.) wurde sie zu Recht abgewählt. Nun ziehen also die Sozialdemokraten die Schraube an.

Anders daran ist, dass die Gewerkschaften diesmal die einzige bedeutende gesellschaftliche Kraft sind, die gegen die soziale Schieflage einer solchen Politik protestieren. Offenbar hat eine teilweise irrationale Panik vor den Folgen der Globalisierung zu der Übereinkunft bei Parteien und Medien geführt, dass alles schlechter werden muss – nur nicht für diejenigen, die schon genug haben.

Die Chancen der Globalisierung, die Chancen der EU-Erweiterung, die zur Eröffnung neuer Absatzmärkte führen, betont fast niemand. Und an eine andere Wirtschaftspolitik, als diejenige, die unser Land in eine anhaltende Wachstumsflaute getrieben hat, wagt sich bisher keine Partei wirklich.

Das allein bedeutet aber nicht, dass wir ein anderes Land geworden sind. Dafür sprechen dann schon eher Leute wie BDI-Präsident Rogowski, der die Tarifverträge verbrennen will, und FDP-Vorsitzender Westerwelle, der die Gewerkschaften als Landplage bezeichnet. Wenn solche Äußerungen und die damit verbundenen sozialen Folgen salonfähig werden, dann sind wir wirklich auf dem Weg in ein anderes Land.

Michael Sommer ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB)