Spanien verlässt die Irak-Koalition

Nach Wahlsieg der Sozialisten: Der designierte spanische Ministerpräsident Zapatero kündigt Abzug der Truppen aus Irak an: „Man kann einen Krieg nicht auf der Grundlage von Lügen organisieren.“ „Altes Europa“ darf auf bessere Beziehungen hoffen

MADRID/BERLIN taz ■ Spanien zieht seine 1.300 Soldaten aus dem Irak ab. „Die Truppen werden spätestens Ende Juni wieder hier sein“, erklärte gestern José Luis Rodríguez Zapatero, der am Sonntag die spanischen Parlamentswahlen gewonnen hat. Er setzt damit eines seiner wichtigsten Wahlversprechen um. Die USA, die zusammen mit Großbritannien und Spanien auf dem Azorengipfel im März 2003 den Einmarsch im Irak auch ohne UN-Mandat beschlossen hatten, verlieren damit einen wichtigen Partner.

Der 43-jährige Sozialist Zapatero sagte, US-Präsident George W. Bush und der britische Premier Tony Blair müssten sich in „Selbstkritik“ üben. „Man kann einen Krieg nicht auf der Grundlage von Lügen organisieren“, fügte er hinzu. Und weiter: „Der Irakkrieg war ein Desaster. Die Besatzung ist ein Desaster.“

Zapatero gewann die spanischen Parlamentswahlen überraschend mit 42,6 Prozent der Stimmen. Zwar verfehlte er damit eine absolute Mehrheit. Es wird aber erwartet, dass die Sozialisten eine Minderheitsregierung unter Duldung einiger kleinerer Regionalparteien bilden.

Mariano Rajoy, der konservative Kandidat und Nachfolger des bisherigen Regierungschefs José María Aznar, der mit absoluter Mehrheit regierte, erzielte nur 37,6 Prozent. Die starken Verluste sind das Ergebnis der tiefen Unzufriedenheit der spanischen Bevölkerung nach den Anschlägen vom vergangenen Donnerstag auf Pendlerzüge in Madrid. Die Konservativen hatten aus Angst vor den Folgen am Wahltag versucht, einen islamistischen Hintergrund der Taten zu vertuschen.

Die neue spanische Regierung wird den Kampf gegen den Terrorismus in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen, kündigte Zapatero an. Gestern wurden neue Ermittlungsergebnisse bekannt. Mindestens zwei der fünf nach den Anschlägen von Madrid Verhafteten haben demnach Beziehungen zu Al-Qaida-Strukturen in Spanien und im benachbarten Marokko. Madrid und Rabat arbeiten bei der Untersuchung des Massenmords eng zusammen.

Zapatero, der einen „neuen Politikstil“ versprach, will sich innerhalb der EU wieder stärker Frankreich und Deutschland annähern. Mit beiden Ländern verbindet ihn die Ablehnung des Irakkrieges. Er versprach gestern auch, die spanische Blockadehaltung gegenüber der EU-Verfassung aufzugeben. Bundeskanzler Schröder begrüßte diesen Schritt.

Die polnische Regierung befürchtet nach dem Sieg der Linken in Madrid ein Ende des Bündnisses zwischen beiden Staaten. Ministerpräsident Leszek Miller rechnete „mit ernsthaften Komplikationen“ für sein Land. Die spanischen Truppen sind in der polnischen Zone des Iraks stationiert. Zudem eint beide Länder bisher ihre ablehnende Haltung gegenüber dem EU-Verfassungsentwurf. „Wenn sich herausstellt, dass Spanien seinen Standpunkt zur europäischen Verfassung ändert, ist das Schlimmste, was Polen passieren kann, eine Isolierung“, befürchtete Miller.

In ganz Europa wurde gestern um Punkt 12 Uhr mit drei Schweigeminuten der Opfer von Madrid gedacht. In einigen deutschen Städten stoppten Busse und Bahnen für kurze Zeit. Auch manche Radiosender unterbrachen ihr Programm.

Der Vorschlag des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD), einen EU-Sondergipfel einzuberufen, stieß bei der irischen EU-Präsidentschaft auf offene Ohren. Das Innenministertreffen wird voraussichtlich am kommenden Montag stattfinden. Parallel dazu ist ein Treffen der Polizeichefs angesetzt. Es gehe darum, die Anstrengungen bei der Terrorabwehr auf europäischer Ebene weiter zu verstärken und zu vereinheitlichen. Schily beklagt vor allem Mängel beim Daten- und Informationsaustausch.

Die EU-Außenminister wollen bei einem Treffen am kommenden Montag über die Konsequenzen der Anschläge beraten. Auch unter dem Eindruck der Terroranschläge müssten Freiheit und Sicherheit im Gleichgewicht gehalten werden, forderte Joschka Fischer (Grüne). Die EU erwägt einen Antiterrorbeauftragten einzusetzen und will nach den Worten von Kommissionspräsident Romano Prodi bei einem Gipfeltreffen am 25. und 26. März das Thema ansprechen. REINER WANDLER