Syrien walzt seine Kurden nieder

Zahlreiche Tote bei Niederschlagung eines Aufstandes im syrischen Kurdengebiet

ISTANBUL taz ■ Die kurdischen Gebiete in Syrien kommen nicht zur Ruhe. Nach den blutigen Auseinandersetzungen im Anschluss an ein Fußballspiel in Kamisli, bei denen syrisches Militär am letzten Freitag auf kurdische Demonstranten schoss und mindestens 19 Menschen tötete, hat es heftige Protestbekundungen in der gesamten kurdischen Region entlang der türkischen und irakischen Grenze gegeben. Dabei wurden insgesamt rund 60 Menschen getötet. Die syrische Armee fuhr mit Panzern auf und versuchte, das gesamte Gebiet abzusperren. Zuletzt wurden am Dienstag in einem Vorort der Millionenstadt Aleppo erneut sieben Kurden erschossen, die dort an einer Veranstaltung zum Gedenken an den Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabscha im Nordirak am 16. März 1988 teilnahmen.

Es ist schwierig, genaue Informationen aus der Region zu bekommen. Die Regierung von Präsident Assad ließ die Telefonleitungen kappen, der türkisch-syrische Grenzübergang Nuseybin wurde gesperrt. Viele Bewohner der Grenzregion auf türkischer Seite haben Verwandte in den Städten und Dörfern im syrischen Kurdengebiet und machen sich große Sorgen um ihre Angehörigen.

Bis jetzt ist noch nicht zweifelsfrei geklärt, was der Auslöser für die Auseinandersetzungen und den darauf folgenden kurdischen Aufstand war. Nach kurdischen Angaben wurden arabische Nationalisten gezielt zu dem Fußballstadion in Kamisli gekarrt, um in der überwiegend kurdisch bewohnten Stadt eine Auseinandersetzung zu provozieren. Syrische offizielle Stellen behaupten dagegen, das kurdische Fernsehen aus Nordirak habe die Kurden in Syrien zu einem Aufstand aufgerufen.

Der irakische Kurdenführer Talabani hat dies verneint, gleichzeitig aber die Unterdrückung der Kurden in Syrien beklagt. Auch sein Rivale Massud Barsani, der die an Syrien grenzenden Gebiete im Nordirak kontrolliert, schaltete sich ein und erklärte, er habe die Grenze für kurdische Flüchtlinge aus Syrien geöffnet. In der Türkei werden die Unruhen in Syrien mit großer Besorgnis registriert und als erstes Fanal für die Ausstrahlung des kurdischen De-facto-Staates im Nordirak auf Kurden in den angrenzenden Ländern interpretiert.

Im Zuge des laufenden türkischen Kommunalwahlkampfs trat Ministerpräsident Tayyip Erdogan am letzten Samstag in Urfa auf, der größten Stadt an der syrischen Grenze. Er räumte dabei ein, Ankara habe in den letzten Jahren für die Kurden zu wenig getan, und versprach, dass seine Regierung das nun ändern werde. Zufall oder nicht: just einen Tag zuvor öffnete nach monatelangem bürokratischem Hickhack in Urfa die erste private kurdische Sprachschule ihre Pforten. Einen Tag später folgte eine Schule in Batman bei Diyarbakir. In beiden Fällen feierten große Menschenmengen die Eröffnung. JÜRGEN GOTTSCHLICH