Freiheit, Liebe und Jasmin

In Paris eröffnete Jacques Chirac am Donnerstag die Buchmesse: Mit China-Schwerpunkt, aber ohne den chinesischen Nobelpreisträger Gao Xingjian

Bei der französischen Buchmesse steht in diesem Jahr die chinesische Literatur im Mittelpunkt. 39 Autorinnen und Autoren aus der VR China und aus der Diaspora werden bis nächsten Mittwoch zu Lesungen, Debatten und Autogrammstunden an der Porte de Versailles erwartet. Bloß Gao Xingjian ist nicht dabei. Der erste Chinese, der einen Literaturnobelpreis bekommen hat, ist dem Regime in Peking nicht genehm. Deswegen haben die Veranstalter der Buchmesse den 64-Jährigen, der seit 1988 in Frankreich im Exil lebt – und der seit 1998 die französische Staatsbürgerschaft besitzt –, zu keiner Veranstaltung eingeladen.

„Wir sind alle Gao“ hatte sich der Schriftsteller Frédéric Beigbeder deshalb auf sein T-Shirt geschrieben. Doch davon ließ sich Jacques Chirac nicht beirren. Bei der Eröffnungsveranstaltung der Buchmesse am Donnerstagabend drängten Bodyguards den Schriftsteller mit dem Protest-T-Shirt beiseite. Und schafften Raum, damit der Präsident unter roten Lampions und chinesischen Schriftzeichen, die „Freiheit“, „Liebe“ und „Jasmin“ bedeuten, ein Regal mit Büchern aus China enthüllen konnte.

Diese Geste gegenüber Gao Xingjian ist nicht der erste Kotau von Frankreichs Staatspräsident Chirac vor den Behörden in Peking. Schon im Januar hofierte er den chinesischen Staatschef Hu Jintao, der auf Staatsbesuch war, mit vielen Zugeständnissen.

Als Gao Xingjian im Jahr 2000 den Nobelpreis erhielt, wurde er noch als „frankochinesischer“ Autor gefeiert. Gao Xingjian hatte bereits zahlreiche Bücher geschrieben, bevor er China im Alter von 48 Jahren den Rücken kehrte. Während der Kulturrevolution war er für einige Zeit in einem Umerziehungslager verschwunden. Doch endgültig in Ungnade fiel er erst in den Achtzigerjahren. Wegen seines von Beckett inspirierten Stücks „Bushaltestelle“ kam er 1982 vor Gericht, sein Stück „Das andere Ufer“ wurde 1986 verboten.

Gao Xingjian hat sich immer gegen das Etikett „politischer Autor“ gewehrt. Er spricht sich gegen Ideologien und für das Individuum aus und proklamiert einen Stil, den er „kalte Literatur“ nennt: „Für sich selbst schreiben. Ohne einen Markt oder eine politische Propaganda zu bedienen.“

In Peking hatte die Verleihung des Literaturnobelpreises an Gao Xingjian zunächst Schweigen, dann Kritik ausgelöst. Die chinesischen Behörden halten andere Schriftsteller für preiswürdiger: So schlagen sie jedes Jahr aufs Neue den heute 69-jährigen ehemaligen Kulturminister Wang Meng für den Literaturnobelpreis vor. Dieser Anti-Gao war auch als Gast auf die Buchmesse nach Paris geladen. Aus Gesundheitsgründen musste er absagen.

Einzelne Stände der Buchmesse, die mit jährlich ca. 200.000 Besuchern eines der größten europäischen Kulturevents darstellt, haben dennoch die Werke von Gao Xingjian auf ihre Tische gelegt. Aber im Gegensatz zu den Veranstaltungen mit geladenen chinesischen Autorinnen und Autoren, von denen viele aus dem zweiten und dritten Glied stammen, weist kein einziges Plakat, keine einzige Veranstaltung auf sein Werk hin.

Der Schriftsteller selbst, der mit einer legendären Schüchternheit ausgestattet ist und dem schon der Rummel um den Literaturnobelpreis schwer zu schaffen gemacht hat, erklärte bereits vor Wochen, wie unangenehm ihm dieser neue Trubel um seine Person sei. Er will überhaupt nicht zur Buchmesse gehen. Nicht einmal privat.

DOROTHEA HAHN