Modernes Leben – Wir und Ikea

In Teheran hält der Konsum Einzug. Die Schweden haben einen weiteren Winkel der Welt erobert. Doch nicht alle kommen mit der neuen Zeit hundertprozentig klar. Ein Erfahrungsbericht aus der Welt urbaner Möbelhäuser zeigt: Die Kluft zwischen Anspruch und Realität ist unüberbrückbar

„Die meisten Stücke sind modern oder postmodern,“ kommt seine K.-o.-Schlag-Antwort. Perplex reicht nicht aus, um meine Gefühlslage zu beschreiben

VON SIMA SAEEDI

Es ist noch nicht so lange her, da kamen die Schweden. Nicht selbst, sondern in Form ihrer Mittelklasseprodukte, die ihren Weg in den Markt unserer Möchtegern-Oberschicht fanden. Durch die Werbespots im Satellitenfernsehen und die zahlreichen Auslandsaufenthalte vieler Iraner hielt die moderne Möblierung Einzug in die Haushalte.

Das Ergebnis kann man heute deutlich sehen: In vielen unserer Häuser stehen Ikea-Produkte in unterschiedlichsten Größen und Farben. Lampenschirme, Stühle und Tische, Kerzen und Kerzenhalter, Seifenschalen und Zahnbürsten, Möbel und Bücherregale, was immer Sie wollen. Bezeichnenderweise waren wir an die Ikea-Sachen gewöhnt, lange bevor sie unsere Wohnungen eroberten. Das geschah wie durch Zauberhand durch die Verbreitung der Ikea-Kataloge, die in gewisser Weise ein ebenso kostbares Gut waren, wie es heute die Modemagazine sind. Und jetzt verkaufen bereits zwei Läden der Stadt Ikea-Produkte. Vermutlich liegt das auch daran, dass die iranischen Manufakturen keinen Cent für Design ausgeben und ewig dasselbe alte Zeug nach bekanntem Muster zusammenkloppen. Im Konkurrenzkampf mit den Mittelklasseprodukten aus dem Ausland können sie nur verlieren.

Ohne sich die Ikea-Produkte einzuverleiben, ist ein weiterer Laden mit einem ähnlichen Namen entstanden: Nun hat Idea eröffnet mit einem noch umfassenderen Angebot: Möbel, Kücheneinrichtungen und Küchenzubehör, Kerzen, Kerzenständer, Vasen, Tischdecken, Duschvorhänge und so weiter. Angesichts der Inflation und dem hohen Maß an Armut sind die Preise von Idea geradezu astronomisch.

Die Konservativen im Establishment kritisieren die Regierung wegen der stetig ansteigenden Armutsrate. Die Mittelschicht schrumpft weiter. Die Armen hat man seit der Revolution mehrfach umbenannt: einst die „Unterdrückten“ sind sie heute zur „verletzlichen Klasse“ geworden. Der Anteil der Bevölkerung, den man aufgrund seines Lebensstandards zu dieser Klasse zählen muss, ist durch die Abwanderung in die großen Städte und durch die allgemeine wirtschaftliche Krise des Landes noch gestiegen. Wie kann ein Arbeiter oder eine Angestellte mit einem Gehalt von 200 Dollar im Monat sich Möbel leisten, die teurer sind als sein/ihr Jahresgehalt?

Trotzdem sind die Idea-Läden voll gestopft mit Besuchern; natürlich sind keineswegs alle auch Käufer. Idea ist ein neues Phänomen, und ein Besuch dort wird zum Familienereignis, vorausgesetzt, die Familie kann sich wenigstens ein paar lumpige Anschaffungen leisten. Ansonsten sind, wie wir wissen, unerfüllte Wünsche die Ursache unerwünschter Minderwertigkeitsgefühle.

Heute kann Teheran mit noch einer weiteren Möbelladenkette prahlen. Die Läden des Türkei-Imports Istikbal schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Verkäufer sind jung, smart und kundenfreundlich. Sie bedienen Kundenanfragen mit ungeteilter Aufmerksamkeit und schaffen es tatsächlich, dir Respekt entgegenzubringen. Sie sind so nett, dass man sich verpflichtet fühlt, wenigstens irgendetwas zu kaufen. Auch wenn man dazu eigentlich gar nicht in der Lage ist. Die Preise sind nicht wahnsinnig hoch, aber doch auch nicht niedrig. Die Leute kommen und gehen, sitzen auf Stühlen herum, bewundern die Schönheit und den einzigartigen Stil der Möbel und können sich manchmal sogar überwinden, nach dem Preis zu fragen. Istikbal wird seinen Vormarsch auf dem iranischen Markt nicht beenden, bevor es diese Stadt erobert hat und danach wahrscheinlich die nächste. Angesichts der im Iran üblichen Marktgesetze wird ihre Qualität dabei bald deutlich nachlassen.

Jüngst hat ein weiterer Laden eröffnet. Die Teheraner erinnern sich sicher an das Bekleidungsgeschäft Ofoq auf der Valiasr Straße, südlich des Vanak-Platzes. Ofoq war ein großer Laden mit farbenprächtiger Fassade und mit großen Schaufenstern. Vor einiger Zeit jedoch wurden dort die Vorhänge vorgezogen; dann zog Ofoq die Vorhänge wieder auf und erschien in neuer Gestalt. Damit war die Teheraner Neugier, verstärkt durch eine seltsame Reklametafel, die der Laden zwischenzeitlich angemietet hatte, endlich befriedigt.

Ofoq ist um Längen der beeindruckendste Laden von allen. Im Eingangsbereich sehe ich Verkäufer, die mit ihren Krawatten wie Statuen dastehen, dahinter schweifen hübsche, junge Verkäuferinnen im Laden umher. An den Sofas und Tischen gibt es keine Preisschilder, also muss ich mich an das Verkaufspersonal wenden. Fangen wir mit einem roten Ledersofa an: „Madame, es ist ein Holke“, sagt einer der Schlipsträger und geht wie selbstverständlich davon aus, dass ich den deutschen Hersteller sofort erkenne. „Mit einer Fernbedienung für die Rückenlehne und die Fußstütze“ und, als sei das noch nicht genug, „echtem Leder, letzter Schrei“. Zwölftausend Dollar.

Er behandelt mich wirklich mit Respekt, und er antwortet geduldig. Eine Garnitur aus Holz erweckt mein Interesse. Ich bewege mich mit dem Herrn darauf zu und frage nach dem Preis: viertausend Dollar und ein paar zerquetschte. Ohne es zu wollen, ändert sich meine Aufmerksamkeit, und ich kritisiere den Laden. „Das hier sieht eher aus wie eine Kunstgalerie und nicht wie ein Möbelgeschäft“, platze ich heraus. „Ja, die meisten Stücke sind modern oder postmodern“, kommt seine K.-o.-Schlag-Antwort, und der Begriff „perplex“ reicht nicht im Mindesten aus, die Gefühle auszudrücken, die ich in diesem Moment habe.

Ich möchte ihm etwas klar machen: „Früher haben Sie hier Kleider verkauft, nicht wahr?“ „Ja, das hier ist Ofoq.“ Er spricht darüber, als rede er von einer Pariser Edelboutique. Ich gehe auf eine bezaubernde Möbelgarnitur zu. Der Gentleman, der ganz genau weiß, dass ich kein postmoderner Käufertyp bin, begleitet mich und sagt ohne das geringste Anzeichen einer Verärgerung: „Diese kommen aus Südafrika. Das ist Schmiedeeisen und Bambus. Diese Tische und Kaffeetische sind ebenfalls aus gepresstem Bambus.“

Die Kaffeetische sind riesig groß. „Sind die nicht etwas zu groß?“, frage ich und versuche cool und distanziert zu wirken. „Madame, ein Kaffeetisch dieser Größe kommt in einem großen Penthouse so richtig zur Geltung – natürlich nur, sofern sie eins haben.“

Aus dem Englischen von Hans Schiler

Der Text ist entnommen aus www.tehranavenue.com, einem City-Portal, das sich zum Ziel gesetzt hat, das Leben in Teheran für ein internationales Publikum zu präsentieren