„Das Ventil: Musik“

Musik, Chatten, Internet: Das sind laut Shahram Sharbaf die Dinge,die die jungen Leute im Iran interessieren – wie überall auf der Welt

taz: Was ist denn die Geschichte von O-Hum?

Shahram Sharbaf: Wir haben vor vier Jahren angefangen. Unsere Musik ist eine Mixtur aus östlichen Klängen und westlicher Rockmusik. Die Texte kommen von Hafez, dem großen iranischen Poeten. Bei dieser Konstellation war es kein Wunder, dass das Erschad, das Kulturministerium, unsere Musik nicht in Ordnung fand. Sie waren der Meinung, die ganze Idee sei westlich inspiriert und entspreche nicht ihren Standards. Am schlimmsten fanden sie die Art, wie wir die Hafez-Texte singen und begleiten. Mit diesem Beat, als Rockband. Das war ihnen zu respektlos.

Sind Sie vor Kommissionen getestet worden?

Ja, sie beurteilen die Musik in einer Session und dann den Sänger in einer anderen Session. Ich musste einen Gesangstest machen, ohne Begleitung. Nur Singen, vor neun oder zehn Leuten. Nachdem sie dann unser erstes Album ablehnten, machten wir eine Website auf, www.O-Hum.com und stellten alle Albumtracks umsonst zum Download ins Netz. Wir haben vier Jahre lang alles versucht, mit dem Ministerium klarzukommen. Aber alle Konzerte wurden verboten, ebenso alle CD-Veröffentlichungen. Das ist unsere Geschichte.

Sie haben trotzdem großes Aufsehen erregt. Nur mit der Website?

Und mit CD-Kopien. Jeder, der eine CD hatte, brannte Kopien und gab sie weiter. Und das geht bis heute so.

Sie haben dann das Land verlassen und sind nach Kanada gegangen. Warum sind Sie zurückgekehrt?

In Teheran hatten wir unter vielem gelitten. Technischen Dingen auf der einen Seite, z. B. kein vernünftiges Studio zu haben, und, auf der anderen Seite, dem Erschad. Als wir nach Vancouver zogen, war in dieser Hinsicht alles in Ordnung. Alle notwendigen Werkzeuge waren da. Aber ich erkannte, dass alle Ressourcen meines Berufes, also meiner Art, Musik zu spielen, hier im Iran liegen.

Jetzt sind Sie zurück. Haben sich die Umstände gebessert?

Nicht sehr. Als ich zurückging, machte ich mich darauf gefasst, dass sich nichts geändert hätte. Aber es gab ein paar Verbesserungen hier und da. Ich konnte einige Konzerte als Gastmusiker und Gastsänger spielen. Vor einigen Wochen hatte ich einen Auftritt bei einem Wohltätigkeitskonzert für die Erdbebenopfer von Bam. Dort konnte ich fünf O-Hum-Songs spielen. Ich glaube, es geht langsam, aber sicher aufwärts.

Was, glauben Sie, bedeutet O-Hum den jungen Menschen im Iran?

O-Hum ist ein Symbol für Freiheit, dafür, individuell und unabhängig zu sein. Alle Traditionen sind in dieser Musik, in diesem Stil gebrochen. Die Texte sind ungewöhnlich gesungen, die Musik ist ungewöhnlich. Die jungen Menschen haben genug von dem traditionellen Zeug.

Wie geht es der alternativen Musikszene insgesamt?

Sie wächst weiter. Es gibt einen Band-Wettbewerb vom Onlinemagazin www.teheranavenue.com. Letztes Jahr gab es 20 Teilnehmer, in diesem Jahr waren es über 50. Die Szene wächst Monat für Monat. Und nicht nur in Teheran, auch in anderen iranischen Städten wie Schiras, Esfahan, Maschhad.

Und wie reagiert das Erschad darauf?

Sie beginnen langsam, einen neuen Stil zu akzeptieren. Bis jetzt waren Popmusik, klassische Musik und traditionelle Musik die einzigen Genres, die erlaubt waren. Ich habe das Gefühl, dass sie eine Kategorie für Rockmusik hinnehmen werden. Es ist noch nicht ganz so weit, aber sie haben einigen Rockbands genehmigt, live zu spielen, CDs herauszubringen etc. Ich glaube, sie werden milder.

Wenn man aber die Umstände und das Resultat der Wahlen beobachtet hat, konnte man darauf schließen, dass die Konservativen wieder stärker werden.

Ja, das macht mir ein wenig Sorgen. Aber ich glaube nicht, dass sie wieder härter gegen die Musik vorgehen. Die junge Generation liebt Musik, Internet, Chatten mit Leuten aus fremden Ländern. Sie mögen alles, was alle anderen Jungen und Mädchen auf der Welt heutzutage mögen. Man kann es nicht unterdrücken. Es muss ein Ventil geben, um den Druck abzulassen, und Musik und Internet sind diese Ventil.

Was erwarten Sie vom Konzert in Berlin?

Abgesehen davon, dass es das erste Mal ist, dass wir auf einer internationalen Bühne stehen, hat es große Bedeutung nicht nur für uns, sondern auch für andere Bands im Iran und die iranische Musik insgesamt. Ich bin sehr gespannt auf die Reaktionen eines Publikums, das eine andere Sprache spricht und die Texte nicht versteht. Ob da ein Funke überspringt.

INTERVIEW: HARTWIG VENS