Gezeitenwechsel im Iran

Die Wahl in der Islamischen Republik ist vorüber, die Konservativen haben das Parlament zurückerobert. Die Menschen blicken derweil reserviert auf die neuen alten Zeiten: Chinesisches Modell oder doch Geheimverhandlungen mit den Amerikanern?

VON MAHSA SHEKARLOO

Letztes Jahr im März fielen die iranischen Neujahrsfeiern mit der Bombardierung Bagdads durch die US Luftwaffe zusammen. Eine Tür weiter verfolgten die Iraner die Kriegshandlungen mit einer Mischung aus Verständnis und cooler Nonchalance. Fast genau ein Jahr später ist es nicht angesagt, über eine militärische Intervention der USA im Iran zu diskutieren. Die Ära der politischen Reformer ist beendet und die Iraner erwarten das neue Jahr (am 21. März) – mit Verständnis und cooler Nonchalance.

Jetzt, nachdem die Konservativen bei den Parlamentswahlen im vergangenen Monat das „Parlament“ erobert haben und sich die Gerüchte über Geheimverhandlungen mit den Amerikanern hartnäckig halten, wird von außen zunehmend kommentiert, es handle sich um eine neue, am chinesischen Modell orientierte Ordnung – viele Wirtschaftsinvestitionen und wenig politische Freiheit. Bezogen auf die sozialen Restriktionen sind viele Iraner im Inland der Meinung, dass die Konservativen nicht alle sozialen Freiheiten zurücknehmen können, die die Reformer gesichert haben. Sie können es nicht, weil die Bevölkerung das nicht zulassen würde und die Konservativen nicht das Risiko sozialer Unruhen eingehen wollen.

Ungehorsame Träume

Als 1997 Chatami zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, wurden Jugendliche in der Stadt noch fürs Händchenhalten verhaftet. Frauen wurden auf Polizeistationen verschleppt, weil sie angeblich zu viel nackte Haut zeigten, und Parteibüros wurden unter dem Vorwurf der Verschwörung überfallen. Von Anfang an versuchten Präsident Chatami und seine Regierung die Überwachung zu beenden und gerieten dabei häufig in direkten Konflikt mit den konservativen Moralwächtern, die darauf bestanden, Gewalt und Einschüchterung auszuüben, um so die Bevölkerung zu kontrollieren. Die Repression war allerdings nie systematisch und nicht sehr wirksam. Die Reichen waren häufig in der Lage, die verhaftenden Beamten zu bestechen. Die Zahl derjenigen, die den staatlich festgesetzten Moralcode verletzten, überstieg bei weitem die menschlichen Ressourcen, die nötig gewesen wären, um sie auf Linie zu bringen. Tausende Schüler und Studenten strömten in die Polizeistationen und Haftzellen und wieder hinaus. Trotz der Einschüchterungen, der Verbreitung von Panik und sogar trotz physischer Misshandlungen weigerte sich die Jugend einfach, klein beizugeben.

Mit den Jahren wurde die öffentliche Präsenz der Moralwächter schwächer und die uniformierten Polizeibeamten stellten die Verfolgung von Jugendlichen praktisch ganz ein. Der diesjährige Wandel in Teheran verdient besondere Aufmerksamkeit, weil mit ihm der politische Niedergang der Reformer und ihres Ansehens in der Bevölkerung mit der Konsolidierung der Macht der Konservativen einhergehen.

Da sich der soziale Widerstand als wesentlich hartnäckiger herausgestellt hat als der politische Widerstand, könnten die konservativen Kräfte der Regierung eine Strategie anwenden, die beim Ersteren ein Auge zudrückt, um den Zweiten besser unterdrücken zu können. Selbst die heiligen religiösen Trauerfeierlichkeiten für Imam Hussein im Monat Muharram waren diesmal weniger asketisch, um mehr Menschen Mut zu machen, daran teilzunehmen. Bei den nächtlichen Trauerzeremonien liefen geschniegelte Jungen und Mädchen in engen Kleidern und mit starkem Make-up gemeinsam mit der älteren Generation die Straßen auf und ab und ließen sich mit freien Speisen und Erfrischungen verköstigen. Heißlaufende Motorräder mit jungen Pärchen drauf heulten auf zu den Trauerliedern der Straßenprozession, und die voll aufgedrehten Bässe der Autoradios erfüllten die Luft mit synthetischen Pop-Versionen der Trauerlieder für Imam Hussein. Die konservativen Organisatoren schienen sich nicht daran zu stören oder zeigten es zumindest nicht.

Zu Beginn einer mondhellen Nacht

Das ist ein riesiger Unterschied zu der Situation vor einigen Jahren, als das staatliche Fernsehen voller Wut die Teilnahme reicher und säkularer Nordstadtbewohner verurteilte und sie beschuldigte, sie würden sich über einen heiligen und düsteren Anlass lustig machen und ihn in einen beliebigen „Karneval“ verwandeln.

Als weiteres Anzeichen einer veränderten Taktik kann eine Sendung im konservativ kontrollierten, staatlichen Fernsehen am Abend der Parlamentswahlen gewertet werden. Gezeigt wurde ein zweistündiger Beitrag über die Geschichte der Revolution von 1979, die letztlich zur Errichtung der Islamischen Republik Iran geführt hat. Sendungen, die alte Gefühle aufrühren, indem sie Bilder von der Vertreibung des Schahs und der triumphalen Rückkehr Ajatollah Chomeinis in den Iran ausstrahlen, sind besonders typisch in Wahlzeiten oder zum Jahrestag der Revolution. Diesmal zeigten die Bilder aber etwas völlig Unvorhergesehenes: Man sah unverschleierte iranische Frauen. Das staatliche Fernsehen hat noch nie Bilder unverschleierter Frauen aus der vorrevolutionären und aus der revolutionären Zeit gezeigt, auch in seinen historischen Reportagen nicht. Filmmaterial von Massendemonstrationen gegen den Schah wurde immer so geschnitten, dass auf keinem Bild unverschleierte Frauen zu sehen waren, auch wenn tatsächlich tausende am öffentlichen Protest teilgenommen hatten und als Revolutionärinnen aktiv waren. Nach Errichtung der Islamischen Republik Iran und nachdem Anfang der frühen 1980er-Jahre das Tragen des Schleiers Pflicht geworden war, verbannte das Fernsehen die Existenz unverschleierter Frauen aus der Geschichte, dem Blick und der Dokumentation.

Im Februar brach das Fernsehen plötzlich mit seiner eigenen Politik und zeigte unverschleierte Frauen (sicherlich, nur vereinzelt), nicht bei ihrer Teilnahme an revolutionären Demonstrationen, sondern auch im Interview. Zwei der interviewten Frauen stellten sich auf Nachfrage des Interviewers als Zoroastrierin beziehungsweise als Christin heraus, und weil die dritte Frau nicht näher religiös bezeichnet wurde, schloss der Interviewer daraus, sie müsse eine Muslimin sein. Alle drei wollten beim nationalen Referendum mit Ja für die Islamische Republik stimmen, zwei von ihnen wurden dabei gezeigt, wie sie stolz ihre Wahlscheine einwarfen.

Begeben sich in den Schlafsaal

Versuchen die Konservativen eine neue Offenheit zur Schau zu stellen und eine lange diffamierte und ausgegrenzte Gruppe in die Staatskonstruktion aufzunehmen? Oder ist das nur ein zynischer Schritt, um an die nostalgische Erinnerung der Menschen an vergangene Tage zu appellieren? Oder geschieht dies in Anerkennung der Tatsache, dass sich viele Zuschauer zu Hause eher mit einer unverschleierten Frau identifizieren als mit einer verschleierten?

Der diesjährige Februar stand im Zeichen der 25-Jahr-Feiern der Revolution und der Islamischen Republik, die mit einem überwältigenden Votum von 98 Prozent der Stimmen errichtet wurde. Heute sind 70 Prozent der Bevölkerung unter 30, und diese junge Generation ist davon nicht beeindruckt. Die sozial und politisch Konservativen, eher berühmt für ihre Gewaltanwendung und für Einschüchterungen, müssen jetzt mit der jungen Generation auskommen. Sehen wir weiter.

Hundert gehorsame Soldaten

Übersetzt aus dem Englischen

von Tim Mücke

Mahsa Shekarloo lebt in Teheran als Schriftstellerin, Übersetzerin und Mitbegründerin von „Bad Jens“, einem Online-Magazin, das Geschlechterfragen im Iran thematisiert: www.badjens.com