Hirten suchen Schafe

„Viel Spaß“: Mel Gibsons Blutfilm „Die Passion Christi“ lief im Dammtor-Cinemaxx unter seelsorgerlicher Betreuung. Viel zu tun hatten die Pastoren nicht. So blieb ihnen genügend Zeit für Fernsehinterviews. Positive Reaktionen gab es auch, aber die kamen überraschenderweise von muslimischer Seite

„Viel Spaß“ wünschte der Kartenabreißer im Cinemaxx-Kino am Dammtor. Wahrscheinlich sagt er das immer, aber dieses Mal schien ein klitzekleines diabolisches Lächeln um seine Mundwinkel zu spielen.

„Viel Spaß“ ist von einem Film, der über weite Strecken Folterszenen in Zeitlupe zeigt, ein wenig viel verlangt. Mel Gibsons Passionsgeschichte hatte bereits vor dem offiziellen Kinostart am Donnerstag einigen Aufruhr ausgelöst. Am Donnerstag selbst hatten sich christliche Kirchen dann genötigt gesehen, gemeinsam mit dem Zentralrat der Juden vor den antisemitischen Tendenzen des Films und seinen Gewaltdarstellungen zu warnen: „Die rohen, lauten Szenen der Geißelung, des Kreuztragens und der Kreuzigung selbst muten den Kinobesuchern viel zu und überschreiten für viele die Grenze des Erträglichen“, heißt es in der Erklärung.

In Hamburger Kirchenkreisen denkt man wohl ähnlich, jedenfalls stand am Wochenende eine Abordnung evangelischer Pastoren im Foyer des Cinemaxx am Dammtor, direkt vor dem Kino 1, wo der Gibson-Film läuft. Sie hatten Stände aufgebaut, auf denen eine friedlich beleuchtete Hansestadt Hamburg abgebildet war. Im Himmel über Hamburg stand: „Gott wird bei den Menschen wohnen“.

Erkennbar waren die Pastoren an ihren kleinen Namensschildchen. Kinobesucher, die verstört aus der Vorstellung kämen, könnten so in Sekundenschnelle ihren seelsorgerlichen Beistand orten. „Zeigen, dass wir da sind“, „einfach zuhören“ wollten sie, sagten die Pastoren und zogen an ihren Filterzigaretten.

Vielleicht waren sie auch nervös, schließlich hatten sie den Film noch nie gesehen. In der Hauptvorstellung wollten sie das nachholen. Danach wäre immer noch Zeit, sich um verstörte Seelen zu kümmern.

Hätten die Pastoren ihre Stände etwas früher aufgebaut, hätten sie vielleicht die islamische Mädchenklasse mitbekommen, die in der Frühvorstellung war. Eine ganze Reihe im nicht kleinen Kino 1 hatten sie besetzt, nach der Reklame brav ihre Handys ausgeschaltet und und sich dann flüsternd die deutschen Untertitel des Films vorgelesen, in dem ja nur Aramäisch und Latein gesprochen wird. Die Mädchenklasse hatte der Film stark mitgenommen, es wurde lauthals geschluchzt und in Taschentücher geschneuzt.

Die islamische Mädchenklasse hatten die Pastoren aber verpasst. Und als sie die Hauptvorstellung vorzeitig verließen, um auf dem Posten zu sein, trafen sie auf keine verstörten Menschen, sondern auf eine Meute von Journalisten, die über die Aktion berichten wollten. Bild Hamburg war da, der NDR, dpa, Spiegel online und die taz.

Es lag eine fiebrige Spannung in der Luft. Wenn eine Türe aufging, fuhren die Köpfe herum, es hätte doch jemand sein können, der geistlichen Beistand sucht. Es war aber bloß ein Kinoangestellter, der mit zwei riesigen Eimern herauskam, auf denen „Spezialfett – Popcorn“ stand.

Während drinnen auf der Leinwand riesige Nägel in die Hände Jesu getrieben wurden und sein Blut das Kreuz herunterrann, warteten Pastoren und Journalisten vergeblich. Die Kühlschränke hinter der Popcorntheke surrten. Auf dem Reklameband im Foyer wechselte die Werbung zu „Esst mehr Obst! Fruitys Früchteriegel“.

Aus lauter Verzweiflung begannen die Journalisten die Pastoren zu interviewen, die Sätze sagten wie: „ ... und dann macht das Ganze ohne Auferstehung keinen Sinn“ oder „der Film zeigt gar nicht, wofür er gestorben ist“.

Als die Kinotüren endlich aufgingen, sah man, dass auch in der Hauptvorstellung viel geheult worden war. Einigen Journalisten gelang es, Kinobesucher abzufangen. Die wirklich Verstörten, die mit den geröteten Augen, rannten angesichts des ganzen Auftriebs aber sofort nach draußen.

Am Ende blieben von den Kinobesuchern nur drei bei einer Dame vom Radio hängen. Der Film habe ihnen gut gefallen, meinten die beiden deutschtürkischen Frauen. Besonders die Botschaft mit der Nächstenliebe. „Jesus ist ja auch bei uns ein Prophet“, sagte ihr Begleiter. Missioniert habe er sich überhaupt nicht gefühlt.

Die Pastoren haben das aber schon nicht mehr gehört, sie waren wieder mit Interviewt-Werden beschäftigt. „So viel Aufregung um so einen trivialen Film“, sagt einer von ihnen.

Damit könnte er am Ende Recht haben. Daniel Wiese