Die süße Drohung aus dem Westen

Der US-Konzern Cargill fordert von der türkischen Regierung, eine illegale Zuckerfabrik zu legalisieren. Die Familie des Regierungschefs profitiert vom Vertrieb der Produkte. Subventionierter Import-Mais setzt Zuckerbauern unter Druck

AUS ISTANBUL DILEK ZAPTCIOGLU

Während seines jüngsten Besuches in Washington wurde der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan mit einem überraschenden Gesprächspartner konfrontiert. Ein Vertreter des amerikanischen Agrargiganten Cargill, weltweit führend im Getreidehandel, wurde vorstellig mit einer Bitte. Die Regierung möge doch eine Cargill-Fabrik in der Westtürkei legalisieren, die eigentlich gar nicht hätte gebaut werden dürfen, da ihr Gelände landwirtschaftliches Nutzgebiet ersten Grades und per Verfassung geschützt ist.

Cargills Fabrik produziert seit 1999 illegalerweise Süßstoffe und Zucker aus Mais. Berufskammern, Gewerkschaften und Öko-Vereine erwirkten ein Schließungsurteil vor dem höchsten Revisionsgericht, das einfach ignoriert wird. Jetzt will Cargill das Fabrikgelände vom türkischen Kabinett im Nachhinein zum legalen Industriestandort erklären lassen. Das Pikante an der Sache: Der größte Abnehmer der Cargill-Produkte und zugleich ihr größter Partner in der Türkei ist die Firma Ülker, deren Produkte Tayyip Erdogan trotz seines politischen Amtes weiterhin durch familieneigene Firmen vertreibt. „Kann der CEO von Cargill nicht auch als Chef Erdogans bezeichnet werden?“, fragten bereits zersetzende Stimmen aus dem Zuckerrübenmilieu – schließlich sind es die Rübenbauern, die den größten Schaden davontragen werden, falls Cargill im großen Stil auf den türkischen Zuckermarkt drängen sollte. Seit geraumer Zeit wird der türkische Zuckermarkt auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) dereguliert, und die Multis wollen das größte Stück vom Kuchen abbekommen. Mit einer jährlichen Zuckerproduktion von über zwei Millionen Tonnen rangiert das Land weltweit (hinter Frankreich, Deutschland und den USA) an vierter Stelle. Bis in die 90er-Jahre bauten nahezu 500.000 Kleinbauern Zuckerrüben an, die in 30 staatlichen Fabriken zu Zucker und Nebenprodukten verarbeitet wurden. Seit Beginn der 90er-Jahre allerdings drängen zusätzlich private Hersteller auf den Markt. Ihre Erfolgsformel hat sich zum Beispiel in Indien bewährt.

Billiger Mais aus den USA und Argentinien sollte der Zuckerrübe den Garaus machen und aus Preisgründen vom Konsumenten bevorzugt werden. Der Genmais, in den USA hoch subventioniert, wurde in die Türkei transportiert. Der US-Multi Cargill begann schon 1990 bei Istanbul mit der Produktion von Glukose und Fruktose, 1999 folgte die zweite unrechtmäßige Fabrik am Iznik-See. In beiden Anlagen fanden nur 190 Menschen Arbeit. Cargill stieg auch in einer dritten Fabrik mit fünfzig Prozent ein und wurde damit zum Partner des türkischen Lebensmittelunternehmens Ülker – eines Konzerns, der zum islamischen „grünen“ Kapital gehört und deshalb auch mit der Regierungspartei auf vielfältige Weise verbandelt ist. Der Premier und sein Sohn vertreiben Ülker-Produkte. Zudem war auch der jetzige Finanzminister Kemal Unakitan früher Finanzchef bei Ülker.

Den rund 1.000 Beschäftigten, die vom Zuckerimport leben, stehen die Zahlen der Zuckerrüben-Genossenschaft Pankobirlik gegenüber: Laut Angaben des Genossenschaftschefs Mikdat Cakir gesellen sich zu der halben Million Bauern und ihren Familien 30.000 Arbeiter in den Zuckerfabriken, 100.000 Landarbeiter, tausende von Lkw-Fahrern und anderer Zulieferer samt Familienangehörigen. Insgesamt leben sieben bis acht Millionen Menschen in der Türkei von der Zuckerrübe.

Die Pankobirlik-Genossenschaft fordert nun eine Begrenzung der Zuckerquote aus Mais auf zwei Prozent – wie sie im Übrigen auch die EU vorschreibt. Während die türkische Quote für Zucker auf Stärkebasis heute noch bei 15 Prozent liegt, drängt der Cargill-Konzern die Regierung, sie auf 50 Prozent zu erhöhen. Gesetzlich ist das erlaubt, nur sind diese Gesetze weder EU-konform noch volkswirtschaftlich vertretbar. Trotzdem macht sich in der Türkei eine überlaute, die Medien weitgehend beherrschende neoliberale Lobby für die Erhöhung der Quoten stark. Obwohl ein Verbot von Einfuhr genmanipulierten Agrarguts besteht, fehlen dem türkischen Zoll die technischen Möglichkeiten, es auch durchzusetzen. Das einzige Labor in Ankara liegt brach.