Katz und Maus

„Stern“-Reporter Hans-Martin Tillack wurde in Belgien verhaftet. Er war dem EU-Filz auf der Spur – und hat nun „leichte Zweifel am Rechtsstaat“

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Der Stern-Reporter Hans-Martin Tillack wirkt nicht wie jemand, der leicht aus der Fassung zu bringen ist. Seit vergangenen Freitag die belgische Polizei sein Büro durchsuchte, einen Aktenschrank abtransportierte und den Inhalt von drei weiteren Metallcontainern in 17 Kisten verpackt mitnahm, ist ihm seine kühle, leicht zynisch wirkende Sicht auf die Brüsseler Welt aber abhanden gekommen.

„Das war ein wirklicher Schreck“, beschreibt Tillack seine Empfindungen gegenüber der taz. Zwar trug die Aktion Züge einer Provinzposse. Stundenlang habe man auf einen Schlosser gewartet. Da er nicht kam und kein Stahlschneider aufzutreiben war, blieb ein verschlossener Aktenschrank am Ende im Stern-Büro zurück. Die eigentliche Befragung im Präsidium dauerte nur fünfzehn Minuten. Er habe nun aber „leichte Zweifel am Rechtsstaat“, und das betreffe nicht nur die belgische Justiz. „Dass ein ehemaliger deutscher Oberstaatsanwalt so etwas veranlasst, das trägt Züge einer Privatfehde.“

Der ehemalige deutsche Oberstaatsanwalt heißt Franz-Hermann Brüner und ist seit März 2000 Chef der EU-internen Ermittlungsbehörde OLAF. Sie wurde nach dem Sturz der letzten EU-Kommission 1999 gegründet, um Missstände wie Korruption und Vetternwirtschaft rascher aufzuspüren und besser verfolgen zu können. Der Skandal um Vorteilsnahme der französischen EU-Kommissarin Edith Cresson hatte im Frühjahr 1999 letztlich zum Rücktritt der damaligen Kommission geführt. Als Konsequenz und auf Drängen des EU-Parlaments wurde von der neuen Kommission unter Romano Prodi eine neue Betrugsbekämpfungs-Abteilung eingerichtet – mit deutlich mehr Personal.

Bislang hat OLAF die hohen Erwartungen nicht erfüllt. Obwohl Brüner die Presse „in unserem Gebiet als eines der wichtigsten Elemente“ bezeichnet, lässt er über laufende Ermittlungen nichts nach draußen dringen. Erfolgsmeldungen aber sind rar. Bislang konnten nur einige externe Untersuchungen zu Subventionsbetrug und Zigarettenschmuggel abgeschlossen werden – die kommissionsinternen Dossiers sind alle noch offen.

Konfrontiert mit den Vorwürfen des Stern-Reporters Tillack, er habe einen unbequemen Journalisten einzuschüchtern versucht, sagt Brüner: „Da kann ich doch nur ganz schrill lachen. So etwas Dummes habe ich noch selten gehört.“ Seit zwei Jahren ermittle OLAF im eigenen Amt wegen des Verdachts, ein Mitarbeiter habe interne Dokumente an den Stern verkauft. Dieser Ausgangsverdacht sei nun so weit erhärtet, dass man die belgische Justiz eingeschaltet habe. Weitere Details werde er nicht preisgeben – nun seien die belgischen Behörden für den Fall zuständig.

Kartell des Schweigens

Brüner betont, es gehe ihm nur um den Bestechungsverdacht. Ansonsten sehe er das sportlich: „Das ist wie ein Katz-und-Maus-Spiel. Wir versuchen unsere Dokumente zu schützen, und er versucht sie zu bekommen.“ Tillack dagegen bezeichnet Brüner und seine Behörde als extrem öffentlichkeitsfeindlich. „Sie verweigern elementare Auskünfte. Mir wollten sie nicht einmal bestätigen, dass sie gegen das Statistikamt Eurostat in Luxemburg Ermittlungen eingeleitet haben.“ Hätte er nicht Informationen darüber aus dem Europäischen Parlament bekommen, wüsste die Öffentlichkeit bis heute nichts vom Eurostat-Skandal, glaubt Tillack.

In Brüssel gilt der Stern-Reporter als einer, der lediglich an Skandalen interessiert ist und nur über die negativen Ausrutscher des Systems berichtet. Tillack wirft seinerseits den anderen EU-Korrespondenten vor, sie wären Teil eines Schweigekartells. „Man möchte den Lesern vorenthalten, dass ihre Vorurteile gegen die Europäische Union vielleicht Urteile sind.“ Der Stern greife keineswegs nur EU-Skandale auf. Viel Hintergründiges habe er für sein Blatt aus Brüssel berichtet.

Der Bedarf der Hamburger Zentrale an Hintergrund-Berichterstattung scheint sich allerdings in Grenzen zu halten. Ausgerechnet im Jahr der Europawahl will der Stern seine Brüsseler und seine Pariser Redaktion zusammenlegen. Tillack, der eigentlich Ende März nach Hamburg zurückkehren sollte, darf nun noch etwas länger bleiben. Denn das tölpelhafte Zusammenspiel zwischen OLAF und belgischer Justiz verspricht für die nahe Zukunft weitere süffige Schlagzeilen aus Brüssel.