Das richtige Leben kommt nicht, es hat längst begonnen: Ariel Rotters Film „B. Aires – Sólo por Hoy“ im 3001
: Die Flugzeuge fliegen ohne uns

Wie viele Leben hat der Mensch? Eines, sollte man denken, aber das stimmt nicht ganz. Außer dem Leben, das wir haben, gibt es unzählige andere, die auf uns warten. Es kommt vielleicht nur auf Kleinigkeiten an, darauf, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Den Imbiss nicht jetzt, sondern fünf Minuten später zu verlassen. Und alles, alles wird anders werden.

Das richtige Leben wartet auf uns in der Zukunft. Deswegen ist es auch so traurig, wenn Leute jung sterben. Weil ihre Zukunft dann mit ihnen stirbt und für immer verloren ist.

Die Menschen in Ariel Rotters Film B. Aires – Sólo por hoy glauben noch an ihre Zukunft, aber sie droht ihnen bereits zu entgleiten. Nicht, weil der Tod dazwischen kommt, sondern das Leben. „Irgendwann ist man nicht mehr, wovon man träumt, sondern das, was man alltäglich tut“, sinniert Morón, eine der Filmfiguren.

Morón hat gerade die Filmhochschule absolviert und verbringt seine Zeit damit, Passanten auf den Straßen von Buenos Aires zu interviewen. Die ersten Minuten des Films geht das so, und man beginnt sich schon fast ein bisschen zu langweilen. Bis man plötzlich ahnt, dass die Fragen, die in den Straßeninterviews gestellt werden, genau die sind, die später die Protagonisten dieses kleinen, charmanten Films beschäftigen werden.

Was wünschen wir uns? Wovon träumen wir? Und was ist wirklich wichtig? Die jungen und nicht mehr ganz so jungen Leute in Rotters Film werden davon umgetrieben. Wobei sich am Ende womöglich herausstellt, dass es sich um sehr verschiedene Fragen handelt.

B. Aires nimmt einen ganz unmerklich hinein in den Alltag seiner Figuren, denen wir beim Leben zuschauen, in der überfüllten WG, in der Küche, bei der Arbeit. Keiner ist wirklich da, wo er hin will. Die Bilder, die das am stärksten ausdrücken, sind vielleicht die, wo der schöne Equis sich zum Flughafen von Buenos Aires schleicht, um den Flugzeugen beim Starten zuzusehen. Equis arbeitet in den Dämpfen einer Großküche, in Wahrheit aber träumt er von der großen Liebe. Und von Paris, darum die Flugzeuge.

Obwohl B. Aires zunächst eher wirkt wie ein Hochschulabsolventenfilm, schafft er es auf seine stille Art, einen für genau den Alltag zu interessieren, den er beschreibt. Es sind nur kleine Geschichten, aber je näher man hinschaut, desto lauter beginnen sie zu sprechen.

Am meisten zu Herzen geht vielleicht das Schicksal von Toro. Toro ist ein bisschen dick und reinigt bloß Hotelzimmer. Dabei ist er davon überzeugt, der geborene Schauspieler zu sein. In jeder gestohlenen Sekunde übt er vor dem Spiegel, wenn es sein muss, auf dem Klo. Am Ende sitzt er da, ein Häufchen Elend, und alle seine Träume sind zerplatzt.

Auch Equis, der Koch, hat die große Liebe noch nicht gefunden, und in Paris ist er auch nicht. Eines der letzten Bilder von B. Aires zeigt eine schöne Frau, die in einem Café arbeitet. „Café Paris“ steht über der Tür. Und so bleibt doch ein bisschen Hoffnung. Daniel Wiese

Ab Donnerstag im 3001, jeweils 21 Uhr