„Wegen dieses Scheißes – so spricht heute niemand mehr“, sagt Ludwig Eichinger

Die deutsche Sprache wird vielfältiger. Das ist ein Gewinn – und kein Grund, sich an die Regeln von gestern zu klammern

taz: Herr Eichinger, wenn Sie in der Zeitung den Satz läsen: „Berlin ist mehr pleite wie Mannheim“, würde Sie das stören?

Ludwig Eichinger: Es würde mich im Schriftlichen normalerweise stören. Allerdings nehme ich an, dass uns der Journalist, der so schreibt, irritieren möchte. Als Stilmittel würde es mich nicht stören.

Und im mündlichen Gebrauch?

Die Verwendung von „wie“ anstelle von „als“ irritiert mich leicht. Aber ich weiß, dass es sehr häufig verwendet wird.

Sie plädieren dafür, neue sprachliche Varianten zuzulassen. Gehört dazu auch, das „wie“ statt „als“ salonfähig zu machen?

Ich plädiere dafür, dass man wahrnimmt, dass die Standardsprache eine größere Bandbreite bekommt, weil sie von mehr und mehr Leuten gesprochen wird. Zu den neuen Merkmalen gehört auch die Verwendung von „wie“ statt „als“. Ich gehöre selber zu den mittelalten Professoren und habe dazu etwas konservativere Vorstellungen.

Wer setzt denn die Standards in der Standardsprache?

Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens, dass eine Sprachform existiert, die man im Schriftlichen und in offiziellen Zusammenhängen mündlich verwendet.

Sie behaupten, die Akzeptanz von Regelverstößen wächst. Selbst der Duden gibt nach. Wie kommt das?

Durch gewachsene Mobilität der Menschen und durch Rundfunk und Fernsehen wird diese Schriftsprache mehr und mehr gesprochen. Dadurch bekommt sie Merkmale von Gesprochenheit. Ich bin dafür, dass die Lockerungen, die durch Mündlichkeit kommen, als standardnah akzeptiert werden.

Welche Lockerungen sehen Sie als echte Bereicherung?

Ich sehe es überhaupt als Bereicherung, dass viel mehr Leute in der Lage sind, standardnah zu sprechen und trotzdem normal klingen. Etwa Partikel wie „halt“, die man im Geschriebenen nicht braucht. Ohne diese wäre das Mündliche aber relativ tot. Und solche Dinge dringen in die Standardsprache ein. Man kann zum Beispiel ohne Probleme sagen: „Ich gehe nicht hinaus, weil es ist zu kalt.“ Ich bin nicht dafür, dass man so schreibt, aber man sollte es mündlich akzeptieren. Aus irgendeinem Grunde kommt „denn“ im Mündlichen nicht vor und als Ersatz dient „weil“.

Wie weit darf diese Lockerheit gehen? Ein Beispiel aus der Grammatik: „wegen dem Stil“.

Wegen mit Dativ ist schon Jahrhunderte alt und hat sich eingebürgert. Ein recht ordinäres Beispiel: „Wegen dieses Scheißes“, sagt kein Mensch, sondern „Wegen diesem Scheiß.“ Das stammt aus einem Buch. Zusätzlich zu dem, was wir für grammatisch richtig halten, gibt es eben stilistische Abweichungen.

Wo ist für Sie die Grenze?

Das, was wir für Standard halten, ist etwas, was wir in der Gesellschaft ausmachen. Und zu viele regionale Einflüsse erlauben es nicht mehr, eine Äußerung als standardsprachlich einzuschätzen.

Mit einer kollektiven Öffnung der Sprache haben Sie also kein Problem?

So könnte man es sagen. Wir nähern uns einem europäischen Normalfall an, dass wir eine sprechsprachliche Normalebene entwickeln, die nah am Standard ist, aber nicht mehr so ist wie geschrieben.

Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn die Standards laxer werden?

Wir haben in den letzten 20 Jahren ein vielfältigere Gesellschaft bekommen. Der Streit um den Tatbestand, wie lax man sein darf, repräsentiert auch eine Veränderung der Normen. Vor 25 Jahren galten nur die Normen des Bildungsbürgertums. Inzwischen gibt es andere gebildete Gruppen in der Bevölkerung, die selber jugendsprachlich aufgewachsen sind und die lockerere Sprach- und Umgangsformen eingeführt haben. Es gibt eine gewisse Lockerung, die die zunehmende Vielfalt unserer Gesellschaft prägt.

Gerade über das Fernsehen kommen viele „casual words“ – sprich Anglizismen – zu uns. Doch dadurch wird die Sprache nicht schärfer. Bergen diese Ungenauigkeiten keine Gefahr?

Das Sprechen ist nicht auf solche Präzision im Ausdruck angewiesen wie das Schreiben. Denn beim Sprechen sieht man ja den Anderen und kann durch Hinweise und Nachfragen immer wieder korrigieren. Anglizismen haben eine gewisse Lockerheit in die Sprache gebracht. Manche sind auch sehr üblich geworden. Ich wurde neulich zitiert mit dem Wort „Säugling“. Ich sage immer Baby. Aber ich möchte an die Menschen appellieren, nicht jeden modischen Anglizismus mitzumachen.

Wo schlägt sich die neue Leichtigkeit in der Sprache positiv nieder?

Deutsche Wissenschaftler waren lange Zeit dafür bekannt, entsetzlich komplex zu schreiben, mit vielen Substantiven und wenig Verben. Wenn sie sich ein bisschen am Sprechsprachlichen orientieren, also mehr Verben benutzen, dann ist das sicherlich kein Schaden. Man kann eine gewisse Lockerung beobachten.

Genau diese Regeln – also Verben, Verben, Verben – stehen in jedem Journalistikhandbuch. Sie sind also für einen journalistischeren Stil?

Ohne gleich journalistisch zu schreiben, können es sich Wissenschaftler untereinander etwas leichter machen, wenn sie Komplexität nicht übertreiben. Ein bisschen mehr Lockerheit hielte ich noch nicht – kein Schimpfwort – für Journalismus.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN