Braun auf weiß

Litauens führende Tageszeitung „Respublika“ veröffentlicht serienmäßig antisemitische Hasstiraden. Die Politiker reagieren – äußerst zögerlich

VON REINHARD WOLFF

Wer herrscht über Welt und Geld? Wer diktiert unsere Politik? Unsere Gedanken? Auf der Titelseite der angesehenen Tageszeitung Respublika konnte die litauische Bevölkerung im März in einer mehrteiligen Serie die Antwort auf solche Fragen lesen: Juden und Schwule. In seinen „Briefen des Chefredakteurs“ erklärte Vitas Tomkus, auch Eigentümer dieser konservativen Zeitung, was Sache ist. Mit den Amerikanern müsse man besonders vorsichtig sein, „denn Amerika wird von Juden regiert“. Und Juden „benutzen den Holocaust, um von ihren eigenen Verbrechen abzulenken“. Das Ganze auch noch illustriert mit Karikaturen, welche auch in den Stürmer gepasst hätten.

Als „die schlimmste Attacke gegen die jüdische Gemeinschaft seit der Selbstständigkeit Litauens“ verurteilte Simonas Alperavicius, Vorsteher der 4.000-Mitglieder starken jüdischen Gemeinde in Vilnius, den Ausfall von Respublika. Die Zeitung schüre offen antisemitische Ressentiments. Alfonsas Eidintas, Botschafter Litauens in Israel, wurde ins dortige Außenministerium bestellt und erklärte anschließend in einem Interview, dass er vor allem auf eine Frage keine rechte Antwort hatte: Warum habe es Tage dauern müssen, bis ein führender litauischer Politiker auf die Respublika-Ergüsse reagiert habe? Erst nach einer Woche äußerte sich Staatspräsident Algirdas Brazauskas. Und auch da machte er sich bei einem Gespräch mit dem litauischen Rundfunk vor allem Gedanken um das Ansehen des Landes im Ausland. Selbstkritisch gesteht Parlamentspräsident Arturas Paulauskas rückblickend ein, dass die Reaktionen der Politik durchaus „deutlicher und schneller“ hätten sein können.

Nun hat immerhin das Parlament mit sofortiger Wirkung Respublika einen einträglichen Anzeigenauftrag gekündigt. Und die Staatsanwaltschaft überprüft, ob Tomkus und Respublika nicht möglicherweise strafrechtlich zu belangen sind.

Dabei war die 1988 gegründete Respublika nicht nur eine der ersten und angesehensten unabhängigen Stimmen des um seine Selbstständigkeit kämpfenden Litauens, sondern gehört auch jetzt zu den auflagenstärksten wie einflussreichsten Blättern des Landes. Doch Antisemitismus verkauft sich in Litauen offenbar gut. Wofür nicht zuletzt die Leserbriefspalten ein deutliches Zeugnis ablegen. Im Zweifel sind Juden an allem schuld: Sie seien verantwortlich gewesen, dass LitauerInnen in sowjetische Arbeitslager verschleppt wurden. Und jüdische Geschäftsleute hätten in der Umbruchphase der Neunzigerjahre das Land geplündert.

In kaum einem Land wurden Juden mit solch grausamer Konsequenz verfolgt wie in Litauen. Aus Einheimischen rekrutierte SS-Truppen waren dabei maßgeblich für den Tod von 220.000 jüdischen MitbürgerInnen verantwortlich. Mit auffallender Unfähigkeit schaffte es dann die Justiz des neuen Litauens, überlebende Täter so lange nicht zu belangen, bis diese nicht mehr verhandlungsfähig oder verstorben waren. Die Teilnahme ihrer Landsleute am Holocaust zu erwähnen, gilt heute geradezu als Nestbeschmutzung. Und diese „national Gesinnten“ finden sich in erstaunlicher Stärke im Parlament, in Zeitungsredaktionen und anderen zentralen Machtpositionen.