Misstöne auf leckem Schiff

Die Musikindustrie klagt: 20 Prozent Umsatzrückgang allein 2004. Schuld seien illegale Internet-Tauschbörsen. Die sollen nun stärker strafrechtlich belangt werden. Aber das wird nichts nützen

VON THOMAS WINKLER

Der Ton lässt schon länger zu wünschen übrig. Wenn Gerd Gebhardt sich zu Wort meldet, um die Anliegen der deutschen Phonoverbände, denen er vorsitzt, zu vertreten, vergisst er mitunter jede Zurückhaltung. Als die Polizei Mitte März in Paderborn zwei Studierende festsetzte, die Raubkopien via eBay verkauft hatten, meinte er, „Studenten sollen studieren und ansonsten ihren Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit verdienen“.

Dann dankte der Phonochef den Ordnungskräften für ihr „konsequentes Einschreiten“. Stolz meldet man, „mehr als 4.000 Rechtsverletzer in den letzten Jahren belangt“ und „Millionen illegaler Musikangebote“ vom Netz genommen zu haben. Nun droht Gebhardt mit weiteren Maßnahmen, die den zu belangenden Personenkreis dramatisch erweitern könnte.

Die Panik der Musikindustrie ist berechtigt: 19,8 Prozent Umsatz hat man 2003 hierzulande eingebüßt. Dafür verantwortlich macht man ausschließlich Internet-Download und gebrannte CDs – und blickt nun über den großen Teich: In den USA reichte die Musikwirtschaft tausende von Klagen gegen die User von Tauschbörsen ein. Mit Erfolg: Nahezu die Hälfte ihrer Nutzer hat sich aus den P2P-Angeboten verabschiedet – um sich mit Zugängen zu legalen Portalen der Musikindustrie zu bescheiden.

Einen ähnlichen Erfolg erhofft sich nun auch die deutsche Phonoindustrie, wenn sie, wie gestern in Berlin verkündet, nicht mehr nur gegen kommerzielle Piraten vorgehen will. Fortan müssen auch Privatmenschen, die sich bei Kazaa einloggen, mit Besuch vom Staatsanwalt rechnen. Denn auch sie tun Illegales, wenn sie ihre Festplatten öffnen, um anderen die Möglichkeit zu geben, urheberrechtlich geschützte Songs herunterzuladen. Seit vorigem Sommer bekommen Tauschbörsennutzer bereits diesbezügliche Drohmails, nun will Gebhardt tatsächlich auch die Staatsanwälte in Gang setzen.

Denn rechtlich hat man sich mittlerweile gerüstet. Jahrelange Lobbyarbeit hat dafür gesorgt, dass Gesetze im Sinne der Musikindustrie geändert wurden. Seit der letzten Novelle des Urheberrechts macht sich nun bereits strafbar, wer den Kopierschutz einer Musik-CD umgeht, so schlecht dieser auch sein mag.

Wer also Sicherheitskopien seiner CD-Sammlung mit einem handelsüblichen Programm brennt, steht theoretisch mit einem Fuß im Knast. Und zuletzt hat das Europaparlament in erster Lesung eine Richtlinie passiert, nach der Internettauschbörsen verpflichtet werden, die Namen ihrer User preiszugeben, ehe Anklage erhoben wird. Bislang muss die Identität des Verdächtigen erst auf Anfrage des Staatsanwalts gelüftet werden.

Die entscheidende Frage aber bleibt, ob es die Musikwirtschaft schafft, die eklatante Differenz zwischen Unrechtsbewusstsein der Konsumenten und der tatsächlichen Rechtslage zu überwinden. Zwar haben Umfragen ergeben, dass etwa drei viertel aller Deutschen wissen, dass in Tauschbörsen Songs vornehmlich illegal gedealt werden. Trotzdem downloaden und brennen die Deutschen mit ungebrochener Begeisterung. 602 Millionen Musiktitel, hat die Industrie gezählt, seien im vergangenen Jahr aus dem Netz heruntergeladen, 325 Millionen CD-Rohlinge mit Musik bespielt worden. Milchjungentechnisch multipliziert mit 1,49 Euro, dem Preis eines Songs bei Phonoline, der eben gestarteten Download-Plattform der Industrie, errechnet sich die Branche einen Einnahmeverlust, der die Umsatzeinbrüche vergessen machen würde.

Die Downloads, so ein weiteres Argument, würden nicht nur Jobs gefährden, sondern auch die Vielfalt des Musikangebots und die Talentförderung. Tatsächlich aber ist die Industrie selbst verantwortlich: Viel zu spät hat sie auf Konsumentenwünsche reagiert, obendrein bieten ihre Download-Angebote im Vergleich zu den nonkommerziellen Plattformen wenig für viel Geld.

Auch die Verkleinerung des Spektrums ist hausgemacht, investiert man doch schon seit Jahren vor allem in formatierte Starentwürfe und hat den lieferbaren Katalog krass eingeschränkt, weil es profitabler ist, von wenigen Künstlern viele Einheiten zu verkaufen als von vielen Künstlern nur je mittelprächtig.

Konzentration auf das Kerngeschäft heißt das dann beschönigend, und den Aufbau von Talenten hat man eh bereits kleinen, unabhängigen Firmen überlassen. Dass nun auch diese längst Teil der Krise geworden sind, hat nicht zuletzt die Pleite des größten deutschen Indie-Vertriebs EFA Anfang März bewiesen. Seither sitzen die kleinen Firmen mit den großen Majors in einem Boot und rudern mehr oder weniger konzeptlos dem Untergang entgegen. Und an Bord wird der Umgangston zusehends rauer.