Das große Bilderreisen

Das Münchner Lenbachhaus und das Kölner Museum Ludwig tauschen ihre Sammlungen. Der Blaue Reiter ist so am Rhein, Picasso an der Isar zu sehen. Der Erfolg ist groß – und doch bleiben Fragen

VON IRA MAZZONI

Das Museum Ludwig in Köln und das Münchner Lenbachhaus tauschen ihre Sammlungen. Das wirft viele Fragen auf, und keine ist klar zu beantworten.

Zunächst sieht alles nach einem gelungenen Schachzug aus. Schon in der ersten Woche strömten 15.000 Besucher in die rheinische Sammlerburg, um dort den Blauen Reiter aus München zu bestaunen, und etwa genauso viele Neugierige stellten sich vor dem Kunstbau im U-Bahn-Zwischengeschoss am Königsplatz an, um an der umfangreichsten deutschen Picasso-Sammlung vorbeizudefilieren. Die beiden Sammlungskataloge, lange auf der Backlist, finden – mit neuem Vorwort versehen – reißenden Absatz.

Demonstrieren hier zwei Museumsdirektoren, wie man mit Minietats das Beste aus der Sammlung holt, indem man sie zur Sonderschau macht? Liefert das Geschäft auf Gegenseitigkeit ein Modell, wie man Versicherungskosten spart und dabei auch noch guten Gewissens Tabus bricht? Franz Marcs großformatiger „Gelber Tiger“ etwa gehört zu den Bildern, die normalerweise nicht ausgeliehen werden. Aber was ist heute noch normal in der Kulturpolitik? Die erwartete Diskussion jedenfalls ist ausgeblieben. Als „politische Demonstration“ wollte Helmut Friedel, Leiter der städtischen Galerie im Lenbachhaus, die Tauschaktion verstanden haben. Aber das hat keiner bemerkt.

Das Bewusstsein für die Sammlungen, die Ausstellungen erst möglich machen, sollte geschärft werden. Statt ins übliche Lamento über die mangelnde öffentliche Wahrnehmung der Bestände einzustimmen, haben sich Friedel und Kaspar König zur fulminanten Neuinszenierung am fremden Ort entschlossen. Aber dient das der Aufklärung? Wird nicht vielmehr das System Ausstellung bestätigt und die Institution Museum in Frage gestellt?

Selbstverständlich betont Friedel die Einmaligkeit der Aktion, die sich grundsätzlich von den diplomatischen „Best of“-Transfers wie dem Gastspiel des MoMA in der Berliner Nationalgalerie unterscheidet. Solche Import-Export-Shows, die in der Regel während der Umbauzeiten der Institutionen stattfinden, würden eben keinen Dialog herstellen. Die Rochade zwischen Köln und München hingegen habe historischen Mehrwert. Picasso ist an der Isar genauso unterrepräsentiert wie Kandinsky am Rhein. Ein Grund, die Protagonisten der Avantgarde im Ortsvergleich vorzustellen.

Als Fortsetzungmodell sei der Austausch unvorstellbar, betont Friedel. Es gäbe keine anderen ebenso gleichgewichtigen Sammlungen. Aber lassen sich nicht jederzeit Argumente und „erhellende“ Zusammenhänge konstruieren?

Das Projekt, wehrt sich Friedel, sei kein Zukunftsmodell: „Wir würden die Identität verlieren.“ Und da hat München mit der Stiftung von Gabriele Münter mehr zu verlieren als Köln, das vom selbstherrlichen Sammler Ludwig ja gerade mit der Picasso-Sammlung erpresst und zum Museumsneubau getrieben wurde. Es liegen Welten zwischen dem persönlichen Vermächtnis der Künstlerin Münter und dem Kalkül des Schokoladenfabrikanten. Der Geschäftsmann war einer der ersten Sammler neuen Typs, der es verstand, seine Leinwand-Latifundien zum eigenen Ruhm von öffentlichen Institutionen versichern, archivieren, erforschen, ausstellen und mit einem Museum nobilitieren zu lassen. Dabei ist die Picasso-Sammlung auch schon „vollständig“ auf Tour geschickt worden (1992 zunächst nach Barcelona).

Weil dem Lenbachhaus auch bei einem kurzfristigen Auszug des Blauen Reiters ein Identitätsverlust droht, hat Friedel in den verwaisten Museumssälen eine sehr intime neue Blaue-Reiter-Ausstellung arrangiert. Neben den wenigen verbliebenen Ölgemälden sieht man Aquarelle, Zeichnungen, Skizzen einer Bildfindung, bemalte Postkarten, fragile Papierarbeiten, private Aufzeichnungen und Fotos. Alles Dinge, die normalerweise im Depot schlummern und die wahre Größe der Sammlung zeigen.

Picasso indes wird im Kunstbau, dem separaten Großraum für Sonderausstellungen, präsentiert: Überwältigend dicht gehängt, barock fünfreihig, bieten die Grafikzyklen eine Parforcejagd durch die Kunstgeschichte und die Mythologie. Picassos hohes Lied auf das üppig blühende weibliche Geschlecht. Dazu kommen entlang der zweiten Tunnelwand die Gemälde in lückenhafter, schulmeisterlich chronologischer Folge. Das Frühwerk war zu Ludwigs Zeiten eben nicht mehr verfügbar. Hinreißend die Präsentation der großen Farbholzschnitte und Radierungen in all ihren Druckphasen, jeweils kombiniert mit den originalen Druckplatten.

So werden das technisch-experimentelle Genie Picasso konkret und die strategische Inbesitznahme Ludwigs einsichtig. Bei allen moralischen Bedenken gegen den Präzedenzfall des Sammlungstauschs kommt man nicht umhin zu staunen. Wenn der Sammlungswahn Ludwigs je anschaulich wurde, dann in der Tunnelröhre des Kunstbaus. Wenn der Produktionsrausch Picassos jenseits filmischer Darstellung je erlebbar war, dann in diesem Bilderkanal.

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