Der Chor der Grausamkeiten

Eine Ausstellung des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt am Main dokumentiert den ersten großen Auschwitzprozess

Die Zeugen bemühten sich um Fassung –und die Täter redeten ihre Taten klein

Die Konzeption ist nüchtern, kühl, sachlich. Der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer war ein engagierter und couragierter Mann. Er war Ankläger im größten Schwurgerichtsprozess der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Zum 40. Jahrestag des Verfahrens hat das nach ihm benannte Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust die Ausstellung „Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main“ konzipiert.

Der Prozess begann im Dezember 1963 im Rathaus Römer und wurde im April in das neu gebaute Bürgerhaus im Stadtteil Gallus verlegt. Vor Gericht standen erst 22, dann 20 Angeklagte wegen gemeinschaftlichen Mordes und Beihilfe zum Massenmord in insgesamt über 30.000 Fällen: 19 SS-Männer und ein Funktionshäftling des Konzentrationslagers Auschwitz. Die akribische Ermittlung und Suche Fritz Bauers hatte es möglich gemacht, Anklage zu erheben und 211 überlebende Opfer zu laden, die nun Zeugen sein konnten.

Der Prozess gilt als ein Wendepunkt der Aufarbeitung deutscher Vergangenheit. Bauer selbst war mit dem Ausgang des 18 Monate währenden Prozesses nicht zufrieden: sechsmal lebenslang Zuchthaus, elf Haftstrafen, drei Freisprüche. Es gelang nur in 605 von über 30.000 Fällen, den einzelnen Angeklagten die Taten direkt zuzuordnen und nachzuweisen.

Der Prozessort ist zum Ausstellungsort geworden. Das Haus Gallus ist ein schlichter Bau der 60er-Jahre mit Allzweckfunktion und Turnhallencharakter. Eine Endlos-Tonbandschleife überträgt die Stimme des Vorsitzenden, des Landgerichtsdirektors Hans Hofmeyer, auf Straße und Bürgersteig: Vereidigung der Geschworenen – „bei Gott, dem Allwissenden und Allmächtigen“ – und Eröffnungsformel. Die Angeklagten betraten das Haus durch den Hintereingang. Ein Diaprojektor wirft Pressefotos von ihrem Einzug auf diese Tür, lachende, auch schimpfende Männer, die ihr Gesicht verbergen. Im kargen Saal im ersten Stock dokumentiert eine Gerichtszeichnung den Standort der Prozessbeteiligten, links die Stuhlreihen des Wachpersonals, der Angeklagten und ihrer Verteidiger, rechts die Vertreter der 20 Nebenkläger, die Staatsanwälte. Gericht und Geschworene saßen auf der Bühne.

Die Ausstellungsmacher hatten sich in ihren Vorankündigungen seit dem vergangenen Herbst immer wieder fast dafür entschuldigt, dass sie internationale Gegenwartskunst von 12 KünstlerInnen in die historische Dokumentation integriert haben. Die Installationen und Dias kommen nun eher unauffällig daher, ordnen sich ein, verschwinden hinter dem chronologischen Überblick der Historie der Ermordung der europäischen Juden, der wenigen vorherigen Verfahren, der Ermittlungsgeschichte, der Rezeption, der Reaktionen auf und der Folgen des Prozesses. Joachim Seinfeld kombiniert da, wo einst die Richter saßen, Lagepläne des KZs mit Fotos des Gerichts beim Ortstermin. Besucher können sich selbst mit einer Polaroidkamera vor dem Bild des KZ-Eingangs mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ ablichten lassen. Der Italiener Loris Cecchini baute in den Nebenräumen schlichte Fotowände auf mit den Porträts der Zeugen und denen von SS-Männern in Uniform. Die Gesichter verändern sich je nach Blickwinkel, werden undeutlich, verschwinden ganz durch die Lichtbrechung der halb reflektierenden Folie. Die Zurückgenommenheit der Kunstwerke lässt die Grenze zwischen ihnen und den Dokumenten der Zeitgeschichte verschwimmen.

Kernstück der Ausstellung sind in der Mitte des Saals auf einer Rampe sechs schwarze Boxen, jede ist einem Angeklagten zugeordnet. Die Ausstellung lebt vom Wort: Zeitungsausschnitte, Lebensläufe, Aussagen, Auszüge aus Plädoyers und Urteilsbegründung. 340 Stunden Tonbandmitschnitt, ursprünglich Gedächtnisstütze des Gerichts, vor der Vernichtung bewahrt und archiviert, sind vom Institut transkribiert und in einer Datenbank erschlossen worden.

Nur wenige Passagen sind für die Ausstellung ausgewählt worden. Der Chor der Töne überschneidet sich, vermischt sie über den oben offenen Boxen. Die größten Grausamkeiten über Selektion, Vergasung, Erschießungen, Folter, Hunger, Mord durch Spritzen klingen nur verhalten an in den oft schüchternen, zögerlichen Stimmen der Zeugen, die sich um Erinnerung und Fassung bemühten.

Die Täter bereuten wenig, redeten ihre Taten klein, sahen sich als pflichtbewusste Befehlsempfänger, Mitläufer, freundliche Menschen. Die Urteilsbegründung dauerte elfeinhalb Stunden. Die Ausstellungsmacher haben jede Emotionalisierung vermieden. Der ehemalige KZ-Häftling Rudolf Vrba sagte zur Eröffnung, es dürfe kein neuer Hass geschürt werden, sondern es sei an der Zeit, die Vergangenheit zu erforschen, um „die Natur der dunklen Mächte zu enthüllen“.

Generalstaatsanwalt Fritz Bauer starb 1968 in Frankfurt. Er hat nicht nur Rechts-, sondern auch Zeitgeschichte geschrieben. HEIDE PLATEN

Noch bis zum 23. Mai