Gesegnetes Teekränzchen!

Teesalons wollen der hektischen „Coffee to go“-Kultur Konkurrenz machen. Sie setzen auf einen langsameren, bewussten Lebensstil. Geduld braucht dabei vor allem eine: die neue Teekultur selbst – sie etabliert sich nur langsam

VON ANNE HAEMING

Es war eine Frühstücksidee: Freunde aus einer Werbeagentur beim morgendlichen Teetrinken, auf einmal der Gedanke, man könne doch ausnahmsweise das kreative Potenzial in ein Produkt investieren, das man selbst tatsächlich gut findet: in Tee. Ergebnis des kreativen Einsatzes: die Teefirma „Samova“, „die Tee- und Kräuterkollektion“.

Im Herbst 2002 gründete Esin Rager mit ein paar Freunden die Hamburger Firma mit dem Anliegen, Tee als Lifestyle-Getränk zu etablieren. Ähnlich wie in den USA und Großbritannien, wo es längst als schick gilt, Tee zu trinken. „Wir wollen Tee aus der Connaisseur- und Wollsocken-Ecke holen,“ erklärt Rager.

Für Traditionalisten wie den Frankfurter Teekontor „Ronnefeldt“ muss das wie eine Revolution klingen. Bei Ronnefeldt steht das ausgeklügelte Zeremoniell des Teetrinkens im Mittelpunkt. Das will der Teekontor fördern – jetzt auch bei jungen Leuten. Ronnefeldt setzt deshalb auf Sommeliers wie Michael Schaubach, ein athletischer Mittzwanziger mit Gelfrisur.

So verschieden das Selbstverständnis der beiden Schulen sein mag, beide Strömungen haben einen gemeinsamen Nenner: Entschleunigung, Innehalten. Sinnigerweise ist für beide das Hotel als Schauplatz der Teezeremonie der ideale Bezugspunkt: Teesalon oder Lobby sind ideal für eine Ruhe und Entspannung. Während jedoch bei Ronnefeldt im Frankfurter Hof der High Tea ganz gesittet, mit abgespreiztem Finger und Sandwich zu sich genommen wird, setzt „Samova“ auf das Teetrinken als Event und veranstaltet regelmäßige Tanztees im Hamburger Hotel Atlantic. Das Warten und Teetrinken selbst bleibt jedoch bei beiden der einzige Zweck. Ragers und Schaubachs Gäste sind im Endeffekt auf das Gleiche aus: „Man trinkt Tee, um den Lärm der Welt zu vergessen.“

Wie jene teeträchtige Warterei aussieht, hängt von der Grundeinstellung zu Tee ab. Herzlich, natürlich, authentisch – das sind die Stichworte von Esin Rager. Die Reverenz gilt der Salonkultur der Zwanzigerjahre: Mit ihren Tanztees und dem neuen Salon im Stilwerk, Hamburgs noblem Designkaufhaus am Fischmarkt, wollen die Hanseaten Plattformen für interdisziplinäre Treffen schaffen, ganz im Stile der Londoner Bloomsbury Group um Virginia Woolf.

Seit die New-Economy-Blase geplatzt ist und das große Jammern anhob, hätten viele Leute das Bedürfnis, sich zu treffen, und zwar nicht auf „hochnäsige, elitäre Dekadenzart“, so Ragers Beobachtung. „Tee ist ein kommunikatives Lebensmittel, für diesen Zweck geradezu ideal. Künstler prallen auf Wirtschaftsleute, und dann spielen sie sich noch gegenseitig was auf dem Klavier vor.“ Was allerdings doch mehr nach jeunesse dorée klingt als nach Golden Orange Pekoe.

Das Getränk als Zentrum für ein ganzes Lebensgefühl. Alles eine Imagefrage, mithin beeinflussbar, wie Rager erklärt. Tee sei noch viel zu bieder, „man muss den Leuten zum Earl Grey den Lifestyle-Hintergrund eines Latte Macchiato verkaufen. Dann traut sich auch ein Mann mit einem Teeglas in die Öffentlichkeit.“

Eine weitere Hürde: die Zubereitung. Das Zauberwort heißt „unkompliziert“. Statt Tee auf Knopfdruck vertreiben sie in ihrem Teesalon sogar eine bürotaugliche Kanne, die Teeblätter können endlich drin bleiben, ohne das Getränk bitter zu machen. Mit der Spezialkanne soll der Schritt von der Freizeitveranstaltung „Tanztee“ ins Büro zum Alltagskonsum befördert werden.

Ganz so undogmatisch wie die „Samovaner“ können die Ronnefeldter Sommeliers ihren Beruf nicht sehen. Die Ausbildung zum Tea-Master, so die korrekte Bezeichnung in der Firmensprache, hat das Frankfurter Unternehmen nicht nur ausgeklügelt, sondern auch gleich markenrechtlich schützen lassen. Schaubach gehörte zu den ersten Lehrlingen, mittlerweile stand schon der dritte Jahrgang im Versuchslabor und übte sich in Blindverkostung. Sie schlürfen, gurgeln, spucken in Kupferkessel und lesen im Teesatz. Stichwort Entschleunigung: Während Teeeinkäufer in den ersten zehn Jahren ihrer Berufspraxis nur immer „schlürfen und die Schnauze halten“ müssen, wie erfahrene Einkäufer sagen, achten die Zeremonienmeister des Teegenusses mehr auf Atmosphärisches.

Die weiß gestärkten Schürzen, der reglementierte Ablauf, der Glaube an eine streng orchestrierte Zeremonie sind nur die westlichen Ausläufer des Gründungsmythos. Es war einmal ein chinesischer Kaiser, so die Geschichte, und diesem Kaiser fiel einmal das Blatt eines Teezweigs in seine Schale voll heißem Wasser. Es ist diese Mystik, die Michael Schaubach und seine Kollegen den Gästen vermitteln wollen. Dazu gehört auch eine Reise zum Ursprung, wie es bei den Traditionalisten leicht verklärt heißt. Als Teesommelier muss man nicht nur ein Scone zum Earl Grey und ein Nusstörtchen zum nussig-malzigen Oolong-Tee empfehlen können. Man muss seinen Kunden auch Wahrhaftigkeit bieten und von selbst gepflückten Teeblättern und der Plantage auf Sri Lanka erzählen können.

Für Schaubach gehört das einfach dazu. Der ehemals überzeugte Kaffeetrinker ist längst zum Ideologen geworden: Er wird nicht müde, ausgerechnet im bankerschwangeren Frankfurt die Hektiker vom postmittäglichen Espresso abzubringen. Da sei viel Überzeugungskraft nötig, versichert Schaubach. „Die haben Laptop und Handy auf dem Tisch und keine Zeit. Aber so zwei, drei Stündchen, die braucht man schon zum Teetrinken.“

Dass Schaubach sogar schon einen hohen Herrn der Commerzbank zum Grüntee bekehren konnte, ist nur ein weiteres Indiz dafür, dass sich immer mehr Menschen des selbstzerstörerischen Potenzials des Immer-Schneller bewusst sind. „Wir brauchen eine Balance aus Spannung und Entspannung“, betont Rager. Bewusstes Teetrinken als Teil der um sich greifenden Wellnesswelle, so sehen das sowohl die „Samovaner“ als auch die Leute bei Ronnefeldt.

Lauschige Teesalons, so das Credo der Teehändler, werden nicht nur in Berlin und Hamburg den Coffeeshops Konkurrenz machen. Ragers Prognose: „In spätestens zwei Jahren sprießen überall mehr Teelounges aus dem Boden.“ Die Zeremonie um den Tee bleibt eben eine Frage des Wartens.