„Grimme-Preis für Endemol?“„Gute Idee!“

Beide bekommen heute die meistbegehrte deutsche TV-Auszeichnung verliehen: den Grimme-Preis. Dieter Hildebrandt (76) für sein Lebenswerk, Wigald Boning (37) für seine Interviewsendung „WIB-Schaukel“. Ein Expertengespräch über Anerkennung, Verachtung und Verblödung im Fernsehen

INTERVIEW TORSTEN ZARGES

taz: Herr Hildebrandt, in Ihrem Buch „Vater unser – gleich nach der Werbung“ kommt der Grimme-Preis zu zweifelhafter Ehre. Sie erfinden ein Strip-Quizformat namens „Witch-Wutch“, das mehrfach nominiert gewesen sei. Steht es so schlimm um Grimme?

Dieter Hildebrandt: Was heißt schon schlimm? Dahinter steht meine Befürchtung, dass so etwas einen so wertvollen Preis bekommen könnte. Die Entwicklung geht wohl in diese Richtung. Noch vor 20 Jahren hatten die Grimme-Preise rein gar nichts mit Unterhaltung zu tun. Ein Gottschalk oder Jauch kam dort nicht vor. Man wurde damals für eine kulturell wertvolle Arbeit ausgezeichnet, für ein ehrgeiziges Stück Fernsehen. Eines Tages erzählte mir dann der Grimme-Manager: So elitär kann es nicht weitergehen – die anderen machen schließlich auch Fernsehen! Warum sollte nicht auch Carolin Reiber einen Grimme-Preis bekommen?

Wigald Boning: Das hat er nicht gesagt!

Hildebrandt: Na ja, nicht wirklich. Aber im Grundsatz hatte er ja Recht. Ich habe damals genickt und gesagt: In Ordnung, ihr müsst nur Acht geben, dass nicht eines Tages Hans Beierlein einen Grimme-Preis kriegt.

Der Grimme-Preis hat sich also über die Jahre selbst entwertet?

Hildebrandt: Nein. Die Auszeichnungen für die guten, herausragenden Programme sind ja geblieben. Es hat nur eine Ausweitung des Spektrums stattgefunden. Ich bin auch kein Purist – insofern ist mir das ziemlich egal. Und grundsätzlich freue ich mich immer, wenn jemand einen Preis bekommt.

Boning: Das ist doch nicht anders als in der Musik, wo es immer noch die Aufteilung in E und U gibt. Bei Grimme ging es um die Überwindung der Kluft zwischen ernsthafter Kunst und leichter Muse. Dass die inzwischen überwunden ist, finde ich positiv. Die spannende Frage ist jetzt, wie sich das weiterentwickelt: Macht man sich irgendwann zum Büttel der Finanzinteressen von Medienkonzernen? Oder versucht man auch in der Unterhaltung, Qualität zu entdecken?

Hildebrandt: Was ist eigentlich mit Herrn Endemol? Der könnte doch langsam mal einen Grimme-Preis bekommen.

Boning: Gute Idee! Als „Big Brother“ neu war, hatte ich durchaus angenommen, das sei ein Grimme-Kandidat. Immerhin ging von diesem Format eine enorme Innovationskraft aus – und ein selbst fürs Fernsehen außergewöhnlich großes Aufsehen. Außerdem steht dahinter ja eine Kunstidee. Schon Anfang der 70er-Jahre hat der Konzeptkünstler Tim Ulrichs für Furore gesorgt, als er sich selbst ausgestellt hat. Bei den Grimme-Juroren gab es aber offenbar eine kulturelle Sperre in Bezug auf „Big Brother“. Schade!

Wir können Sie beruhigen: Auf Grimme-Ehren muss John de Mol zwar noch warten, aber im April bekommt er schon mal den Ehrenpreis der Rose d’Or.

Boning: Schön. Ich freue mich auch immer, wenn jemand einen Preis bekommt.

Was kann der Grimme-Preis eigentlich bewirken?

Hildebrandt: Da kann ich nur aus eigener Erfahrung sprechen. Meinen ersten Grimme-Preis habe ich 1976 für „Notizen aus der Provinz“ im ZDF bekommen. Fast jede unserer Sendungen zog damals ein Zusammentreffen der Gremien nach sich: Muss das sein? Darf Satire wirklich alles? Insofern hatte die Auszeichnung für uns einen gewissen Ätsch-Effekt. Unsere heftigsten Feinde haben sich wirklich geärgert. Allein das hat mich so gefreut! Da kommt durchaus ein bisschen Kampfbewusstsein ins Spiel. Wenn man mir jetzt den Preis fürs Lebenswerk gibt, spielt das allerdings keine Rolle mehr. Da geht’s eher um den Rüstigkeitsquotienten und um die sanfte Aufforderung: „Mach, dass du wegkommst!“

Boning: Als Kampfmittel habe ich meinen ersten Grimme-Preis nicht betrachtet. Wir wurden damals mit „RTL Samstag Nacht“ ohnehin von einer Woge des Erfolgs getragen.

Hildebrandt: Ihr hattet quasi keine natürlichen Feinde mehr.

Boning: So ungefähr. Mit der „WIB-Schaukel“ sieht das jetzt natürlich anders aus. Wenn man von seinem Sender erst stiefmütterlich behandelt wird und dann komplett von der Liste fällt, kommt einem durchaus der Gedanke des Kampfmittels. Zwar hat man sich selbst die ganze Zeit verboten, ein Gefühl von Verbitterung aufzubauen, bloß weil man mitten in der Nacht stattfindet. Aber es ist doch schön, nach fünf Jahren harter Arbeit eine Anerkennung zu bekommen, nachdem einem alle anderen Formen der Anerkennung verwehrt geblieben sind.

Hildebrandt: Wenn man einen Grimme-Preis bekommt, hat man schwere Zeiten, ohne dass man’s weiß. Unter den Juroren ist immer einer, der sagt: Hildebrandt, dieser Idiot! Und ein anderer fragt: Warum soll das blöde Arschloch einen Preis kriegen? Am Ende gibt’s dann eine hauchdünne Mehrheit.

Quält Sie der Gedanke?

Hildebrandt: Er mischt sich zumindest unter die spontane Freude. Man muss sich dann in Ruhe überlegen, ob man den Preis annehmen will und wie hoch der Begründungsaufwand wäre, wenn man sagt, ich will ihn nicht. Hat man ihn erst einmal angenommen, muss man sich noch gegenüber jenen verteidigen, die keinen Preis bekommen haben. Man macht sich nicht unbedingt beliebt.

Boning: Den Sendungen, die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet werden, ist traditionell zu Eigen, dass ihre Macher zunächst lange Zeit unterbewertet sein müssen, um dann in Folge der Auszeichnung überbewertet zu werden. Ein älterer Grimme-Preisträger hat mir neulich erzählt, er musste sich nach jedem seiner Preise einige Jahre erholen, um dann wieder so unterbewertet zu sein, dass er den nächsten kriegen konnte.

Was wollen Sie mit der „WIB-Schaukel“ – hoffentlich bald bei einem neuen Sender – erreichen?

Boning: Aus der Not geboren und mangels Feedback haben wir uns bislang schlicht auf das beschränkt, was uns selbst Spaß macht. In altmodisch-dokumentarischer Art filmen wir eine Begegnung von zwei Menschen, schreiben danach noch ein paar launige Off-Texte, trinken ein Bier und geben die Kassette ab. Die Breitenwirksamkeit als Argument für oder gegen eine Sendung schied angesichts der bisherigen Programmierung sowieso aus. Es bleibt die Freude am eigenen Geschmack und – Achtung, ekelhaftes Wort! – an der Selbstverwirklichung. Eigentlich geht so etwas im Fernsehen gar nicht. Gerade deshalb bereitet es mir diebische Freude, dass wir es ein paar Jahre lang geschafft haben.

Hildebrandt: Bei Ihrer Sendung sitzt man gespannt davor, freut sich auch mal über den einen oder anderen Moment der Stille. Das Fernsehen müsste sich insgesamt entperfektionieren.

Das heißt …

Hildebrandt: … einen aufkommenden Inhalt nicht wegen Zeitmangels unterdrücken. So wie es sich etwa Herr Boning in seiner Sendung erlaubt.

War das Fernsehen rückblickend eigentlich das richtige Medium für Ihre Ziele?

Hildebrandt: Ein Gedanke, der des Rekapitulierens wert ist. Ich war ja schon in den Anfangsjahren des Fernsehens dabei. Damals war es eine Hoffnung, eine Art Antibiotikum gegen die Verblödung, die zu Zeiten des Adenauer-Regimes bewusst gefördert wurde. Da kamen tolle Regisseure, wunderbare Fernsehspiele, die sich nicht zuletzt der unbewältigten Vergangenheit widmeten. Aber das war nicht das Fernsehen, das denjenigen vorschwebte, die eher ein Haushaltsgerät daraus machen wollten. Mittlerweile ist dieser Bestimmungsort erreicht.

Dafür haben Sie es aber lange im Fernsehen ausgehalten.

Hildebrandt: Weil’s mir Spaß gemacht hat. Selbstverständlich muss ich als Kabarettist doch die letzte Möglichkeit nutzen, noch irgendetwas über den Zaun zu werfen. Ein bisschen Auflehnung gegen das Haushaltsgerät muss schließlich sein.

Boning: Ist es nicht eher ein Multifunktionsgerät, das man zwar als Beschallungsanlage fürs Wohnzimmer benutzen kann, aber durchaus auch als Filmabspielgerät, dem man sich konzentriert widmet? Als Macher lebt man gut in der Illusion, dass man ein Kulturgut herstellt.

Hildebrandt: Schon möglich. Auf jeden Fall kommt in jüngster Zeit zum Haushaltsgerät noch die Funktion des Kindergartens hinzu. Wenn ich heute Küblböck sehe, nehme ich ihm gar nichts mehr übel. Mir ist nämlich der Gedanke gekommen, dass das alles sowieso nicht für Erwachsene gedacht ist. Für die Kinder ist einer wie Küblböck gut – ein Clown eben. Alle in diesem System spielen und singen für die Kinder, benehmen sich wie sie. Ich sehe diese Divisionen von kleinen kreischenden Mädchen, die sich an ihren selbst gewählten Stars aufrichten – das sind Kindergeburtstage. Letztlich macht auch Günther Jauch nichts anderes als die Spiele, die man mit den Kindern auf der Urlaubsfahrt nach Italien spielt, damit sie im Auto ruhig sind.