Doris and the city

Über keinen anderen Hollywoodstar wird so viel gespottet wie über Doris Day. Aber warum eigentlich? Zu ihrem heutigen achtzigsten Geburtstag ein Blick in die Abgründe des … Sex!

VON REINHARD KRAUSE

Keine will so sein wie sie. Anne Will zum Beispiel. In einem Interview wurde sie neulich gefragt, ob sie die Doris Day des deutschen Nachrichtenwesens sei. Ganz wie vom Interviewer erhofft, kam die immer adrette und etwas zurückgenommene „Tagesthemen“-Moderatorin prompt aus der Deckung und wies den Vergleich pikiert zurück. Mit Doris Day verglichen zu werden gilt nicht eben als Kompliment, nicht einmal als vergiftetes Lob. Es ist eine Beleidigung.

Aber was nur ist so grundlegend falsch an ihr? Warum zieht Doris Day so viel Spott auf sich?

Weil sie eine schlechte Schauspielerin ist? Ist sie ja gar nicht – weder in den zahllosen Komödien, mit denen ihr Name heute zuvörderst assoziiert wird, noch in Thrillern wie „Mord in den Wolken“ (1956) oder „Mitternachtsspitzen“ (1960). Man denke nur an die dramatische Szene aus „Der Mann, der zu viel wusste“ (1956), in der sie von ihrem Filmehemann James Stewart zwei Beruhigungstabletten verabreicht bekommt und er ihr dann erst eröffnet, dass der gemeinsame Sohn entführt worden ist. Doris Day spielt ihren Part mit einer Mischung aus Verzweiflung über die Entführung, Empörung über ihren Mann und einsetzender Ermattung. Nach diesem schauspielerischen Glanzstück waren selbst die Skeptiker im Filmteam überzeugt, dass Alfred Hitchcock richtig gelegen hatte, die Rolle ausgerechnet mit Doris Day zu besetzen.

Ihre einzige Oscar-Nominierung freilich erhielt sie 1959 für ihre Rolle in „Bettgeflüster“, einer Sex Comedy, die zur Blaupause für viele weitere Day-Possen wurde – und zum Grundstein für das Bild von der ewig adretten und sexuell verklemmten Sauberfrau.

Doris Day, als Sängerin so erfolgreich wie als Schauspielerin, profitierte vor allem in Komödien von ihrem musikalischen Gespür für Timing. In „Ein Pyjama für zwei“ (1961) etwa hat sie eine köstliche Zwanzigsekundenszene, in der ein ganzer Schwarm widerstreitender Emotionen über ihr Gesicht huscht.

„Lila?!“, sagt sie da als Werbefrau Carol Templeton zu einem Entwurf ihres Chefdesigners. „Wer hat denn schon einen lila Fußboden in der Küche?“ – „Na, ich habe einen!“ Doris Day erschrickt über ihre harmlos professionelle Kritik und flüchtet stammelnd in ein diplomatisch ausweichendes „Oh, aber, äh … wissen Sie, Leonard, jeder Mensch ist ja nicht ein solcher Künstler wie Sie!“ Danach kann man geradewegs dabei zusehen, wie bei ihr der Groschen zu fallen beginnt, dass sie mit der Umschreibung „Künstler“ ungewollt zu einer ihr bislang verborgenen Eigenschaft Leonards vorgedrungen ist, seiner Homosexualität. Oh, Doris, rasch zurück auf sicheren Boden! „Wir müssen“, sagt sie, nun wieder geschäftsmäßig, „schließlich das Bohnerwachs an ganz gewöhnliche Durchschnittsmenschen verkaufen.“ Designer Leonard resigniert: „Leider!“ oder im O-Ton: „Them!“

Durchschnittsmenschen wie Doris Day, könnte man anfügen, die prototypische junge Frau von nebenan. Selbstverständlich würde eine Carol Templeton das Wort „homosexuell“ nicht einmal denken. Worin sie ganz Kind ihrer Zeit ist. Ihre Art, die verborgeneren Aspekte der Wirklichkeit, kaum dass sie einmal aufblitzen, schnell wieder auszublenden, hat insofern etwas ganz Unschuldiges, als Miss Templeton auch für sich selbst das Wort „sexuell“ erschrocken zurückweisen würde. Und doch kreisen Doris-Day-Filme stets um nichts anderes als Sex. Es sind Sexkomödien ohne Altersbeschränkung. Sex and the City für blutige Anfänger.

In einer anderen Szene führt Day alias Carol Templeton ein Telefonat mit ihrem schärfsten Konkurrenten, gespielt von Rock Hudson. „Um einen Auftrag zu erhalten“, sagt sie triumphierend, „verwende ich nie Sex.“ – „Und wann sonst?“ – „Auch sonst nie!“ – „Mein Beileid für Ihren Mann.“ – „Ich bin überhaupt nicht verheiratet!“ – „Das passt zu Ihnen.“ Als Komikerin ist Doris Day die willige Repräsentantin des Spießigen, das sich permanent selbst dekuvriert. Wie sympathisch!

Vollkommen sexlos zu sein ist für Doris-Day-Figuren allerdings auch keine Lösung, wie die wunderbare Strandszene aus demselben Film belegt. Hudson, jetzt in der Rolle des Weiberhelden, der sich als neurotisch schüchterner Wissenschaftler ausgibt: „Wissen Sie, es ist komisch mit Ihnen beiden. Sie behaupten, er hätte zu viel Sex, und er behauptet, Sie …“ (schlägt sich erschrocken die Hand vor den Mund). Day: „Ich habe was?“ Hudson: „Das möchte ich lieber nicht sagen.“ Day empört: „Ich habe nicht zu wenig Sex!“ Was sich in der Originalfassung etwas drastischer ausnimmt: „I’m not undersexed!“

Tatsächlich gelingt der Spagat zwischen Sexfurcht und -verlangen in keinem Doris-Day-Film so gut wie hier. Der Trick: Durch Konfrontation mit einem (vorgeblich) noch gehemmteren Mann ist Doris Day gezwungen, selbst den aktiven Part zu übernehmen – eine Herausforderung, die sie, wenn auch widerstrebend, schließlich anzunehmen bereit ist. Zwar nehmen Day-Filme gegen Ende stets eine gnädige Wendung, die die Initiative dem Mann rücküberträgt (oder dem Alkohol), gleichwohl spielt Day ihrem Biederimage zum Trotz ausnahmslos aktive Frauen, beruflich und in Spurenelementen auch sexuell. Oder wie der Kinotrailer zu „Bettgeflüster“ behauptet: „This career girl had everything – but love!“

Zwar wurde Doris Mary Ann Kappelhoff alias Doris Day heute vor achtzig Jahren als Tochter deutscher Einwanderer nahe Cincinnati, Ohio, immerhin einer mittleren Großstadt, geboren, zu ihren Rollen jedoch gehört geradezu zwingend die provinzielle Provenienz.

In „Judy erobert Hollywood“ (1949) etwa, ihrem dritten Film, spielt sie eine junge Frau aus einem Nest namens Gerkey’s Corners, Wisconsin, die sich erst seit ein paar Monaten in Hollywood als Serviererin durchschlägt. Als es mit der erhofften tragenden Rolle als „Mademoiselle Fifi“ auch nach achtzig turbulenten Filmminuten nichts wird, fährt Doris Day reumütig zurück in ihr verschlafenes Kaff – und heiratet dort ihre Jugendliebe, lustigerweise gespielt vom hocheleganten Errol Flynn.

Merke: Day-Filme amüsieren sich über die Wirren und Peinlichkeiten, die Provinzler in der großen weiten Welt erleben, aber sie verraten diese Provinzler nicht ans Publikum. Als Komikerin gibt Doris Day den vielleicht verklemmten, aber deshalb nicht zwingend bornierten Kinogängern ihrer Zeit Gelegenheit zur Selbsterkenntnis. Und zur Strafe für diese (sexual)aufklärerische Leistung wird sie heute eins zu eins gesetzt mit ihren Figuren. Künstlerpech.

Eine Rolle mag dabei auch Days genreübergreifend korrekt-adrette Optik spielen. Selbst Privatfotos der Schauspielerin könnten aus einer ihrer Komödien stammen – oder aus einem ihrer Reißer. Obzwar platinblond wie ihre (gefärbten) Kolleginnen Monroe oder Mansfield und von makelloser Statur, galt Doris Day nie als überragend schön oder stilbildend. Allerdings – und daran hat sich bis heute nichts geändert – auch nicht gerade als überragend klug. Da mag sie noch so oft berufstätige Frauen gespielt haben oder bei Hitchcock ihrem Filmehemann Dr. Kimbal intellektuell deutlich überlegen sein. Ihren Figuren fehlt – was Wunder! – die Ausstrahlung sexueller Intelligenz.

Die Hollywood-Kostümbildnerin Irene verstand es wie niemand sonst, Days schillerndes optisches Potenzial auszunutzen. Für „Ein Pyjama für zwei“ schuf sie eine ganze Parade exorbitant schöner Roben – und zur ironischen Brechung setzte sie Doris Day, verteilt über den Film, nicht weniger als sieben vollkommen absurde Hüte auf, meist versehen mit neckischen Schleifchen, Blumen oder Kordeln.

Antimodisches Highlight des Films ist die Strandszene, in der es zwischen Day und Hudson in Badekleidung erotisch zu knistern beginnt. Kurz bevor sich die Spannung in einem ersten Kuss entladen muss, stülpt sich die unverbesserliche Miss Templeton einen lila irisierenden Reispflückerinnen-Strohhut mit einer ganzen Armada blassblauer, hellgrüner und rosa Troddeln über den Kopf und verdirbt mit diesem Ungetüm natürlich alles.

Ein Jahr später, in „Ein Hauch von Nerz“, musste Doris Day, diesmal in der Rolle einer smarten New Yorker Arbeitslosen mit Wurzeln in Omaha, Nebraska, zu drastischeren Abwehrmitteln greifen: einem nervösen Hautausschlag, der starke Ähnlichkeit mit Pubertätsakne aufweist. Eine reizende Perfidie des Drehbuchs, immerhin war Doris Day da reife 38 und wurde bei Nahaufnahmen bereits unübersehbar mit Weichzeichner gefilmt, was ihr eine zusätzlich entrückte Aura verlieh.

Nach einem fulminanten Start erschöpft sich der Film allerdings sehr schnell darin, die in die Jahre gekommene Jungfer auf ihren hochneurotischen Fernflügen zwischen New York und den Bahamas zu begleiten, schwankend zwischen der entschlossenen Absicht, sich von Cary Grant flachlegen zu lassen oder vor ihm zu flüchten. Die Drehbuchautoren schienen sich zum Ziel gesetzt zu haben, die Sentenz vom willigen Geist und dem schwachen Fleisch auf den Kopf zu stellen.

Je älter sie wurde und je deutlicher sich im Lauf der Sechzigerjahre die Kinokrise abzeichnete, desto alberner wurden Doris Days Rollen. Das mit einem Oscar für das beste Drehbuch ausgezeichnete Erfolgsrezept von „Bettgeflüster“ hatte sich verbraucht. Die Geheimagentenposse „Spion in Spitzenhöschen“ (1966) etwa geriet nur noch quälend slapstickhaft.

Über der schieren Masse der Doris-Day-Komödien mit ihrem häufig identischen Personal kann man schon mal die Orientierung verlieren. Welches ist der Film mit dem Automatenrestaurant? In welcher Spionagegeschichte trachtet sie einem Haarspraymodel nach einer Locke? Welchem Filmpartner dekoriert sie die Wohnung als bengalisches Bordell? In welchem Film sperrt sie ihr Söhnchen dauernd in einen Käfig? Und wo sagt sie ihren wohl berühmtesten Satz, „Mein Name ist Beverly Boyer und ich bin ein Schwein“?

Selbst ausgewiesene Doris-Day-Fans werden bei diesenen Fragen nicht immer auf Anhieb die richtige Antwort wissen. Die anderen könnten zumindest einen Moment lang wohlwollend erwägen, ob manchen dieser Szenen nicht doch cineastischer Respekt gebührt. Doris Days Imageopfer für die unterschwellige Ermutigung zur erotischen Initiative verdient ihn allemal. Happy birthday, Doris!

REINHARD KRAUSE ist taz.mag-Redakteur. Er sagt: „Als Doris Day mit Hitchcock drehte, war sie elf Jahre jünger als ich heute. Unfassbar!“