Sozialforum studiert alte Taktik in leerer Uni

Im Anschluss an die Großdemo versuchen Aktivisten ein Haus der Humboldt-Uni für das Sozialforum zu besetzen. Polizei schreitet schnell zur Räumung. Besetzer entkommen dennoch. Dafür werden rund 100 Nachzügler eingekesselt

Der bunte „Alles für Alle“-Block der Großdemo gegen Sozialabbau hatte gerade den Potsdamer Platz erreicht, als sich für viele Teilnehmer spontan die Route änderte. Statt Brandenburger war jetzt das Oranienburger Tor das Ziel. Etwa 100 AktivistInnen verschiedener Gruppen des Berliner Sozialbündnisses hatten kurzfristig am frühen Nachmittag die Oranienburger Straße 19 in Mitte besetzt, zum Sozialen Zentrum erklärt und Transparente aus den Fenstern gehängt.

Der Bau in bester City-Lage gegenüber dem Monbijoupark steht seit vorigem Jahr leer. Bis dahin nutzte ihn die Humboldt-Universität (HU), der das Filetstück auch gehört. Jetzt wollten ihn politische Initiativen übernehmen und dort neben dem Sozialforum unter anderem eine offene Universität unterbringen.

Doch die Polizei ließ den Traum vom neuen linken Treffpunkt schnell platzen. Gegen 13.45 Uhr rückte sie mit zwei Wasserwerfern und mehreren Hundertschaften an. Die Besetzer entschlossen sich zum taktischen Rückzug: Kein Aktivist ging der Polizei ins Netz, sie musste ein leeres Haus räumen.

Unterdessen strömten immer mehr Unterstützer nach Mitte. Doch schon an der Tucholskystraße wurden rund 100 der Zuspätkommer eingekesselt. Die Polizei fotografierte alle Festgenommenen, wobei sie einigen brutal das Gesicht in Richtung Kamera drückte oder einzelnen verschiedene Mützen aufsetzte. Sogar ein Hund wurde abgelichtet. Die Polizei wirft den Demonstranten pauschal schweren Landfriedensbruch und Körperverletzung vor, weil auf der Oranienburger Straße kurzzeitig auch Steine gegen Beamte geflogen sein sollen. Die Polizei sprach von „normaler Einschließung“ für die Personalkontrolle.

„Wir haben mit HU-Präsident Jürgen Mlynek am Telefon verhandelt, damit er uns das Haus wenigstens temporär überlässt“, sagte Uschi Volz-Walk vom Sozialforum. „Doch er will den Bau verkaufen und auch Strafantrag wegen der Aktion stellen.“ Seit Jahren schon kämpft das Forum für eigene Räume. Zuletzt wurde im Oktober 2003 die Glogauer Straße 16 in Kreuzberg besetzt. Doch Bezirk und Senat halten die Initiativen trotz Zusagen von Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) hin, verzögern den Abschluss eines Mietvertrages. „In Berlin stehen hunderte öffentlich verwaltete Gebäude leer. Wir fordern, solche Gebäude günstig an soziale Projekte zu vergeben“, sagte Volz-Walk. Aktionen für dieses Ziel sollen daher weitergehen.

TOBIAS VON HEYMANN