theorie und technik
: Selbstaufopferung just in time

Ein Sammelband mit Kommentaren zum Umstand,dass Kritik und Dissidenz der Kapitalismusoptimierung nützen

also, ich mach das jetzt mal kathrin-röggla-mäßig, mit kleinschreibung, kunstgriff und so. in der taz darf man das, da freut sich der säzzer, dass alles so ist wie früher. das kapital schrieb groß und die linke hielt klein dagegen. wie sich die zeiten doch wandeln: nun sitzt das kapital bzw. mckinsey in irgendwelchen ladenhüter-premieren in brandenburg und lacht sich scheckig darüber, wie sich hochhuth ihre unternehmensphilosophie so vorstellt. vielleicht sitzen die consultants ja auch bald im schauspielhaus düsseldorf, weil kathrin röggla ihnen dort womöglich den trick verrät, wie man als 24-7-trottel die „absolute performance“ erreicht und beim benchmarking nicht einschläft. das scheint überhaupt so ein genosse trend zu sein, dass das „twen-theater von heute“ (was erlauben peymann?) schleichend zu einer art fortbildungsseminar upgegradet wird. so sicherte christoph marthaler unser aller employability, indem er powerpoint-präsentationen zum singen brachte, während change-manager réne pollesch dem prekär beschäftigten „arbeitskraft- unternehmer“ (dem theater heute jüngst einen ganzen schwerpunkt widmete) ein geschätztes oeuvre von mindestens tausend mini-dramoletten abtrotzte.

tausend theorien: das war denn auch der titel einer schönen, längst verblichenen serie in den „berliner seiten“, wo steile thesen einem bohemian-bourgeoisen publikum dargeboten wurden. in der 102. folge wunderte sich der volksbühnen-dramaturg carl hegemann darüber, dass die neuere management-literatur explizit verrücktheit feiert und „freie verausgabung“, das heißt die eigenschöpferische produktivität eines künstler-subjekts, zum neuen leitbild erklärt. damit war eine zäsur gesetzt, weil das theater sein verhältnis zur verwertungslogik des marktes überdenken musste. in einem werkstattgespräch mit dem berliner polarkreis e. v. machte hegemann klar, dass ein „naiver antikapitalismus“ nun nicht mehr möglich sei. wenn im neoliberalismus tendenziell jedes business zur bühnenarbeit werde, könne man eigentlich nur noch über die offenlegung seiner methodik eine grenze markieren, und so ist eine art kommentierendes „beiseite-sprechen“ vielerorts zur regel geworden. kritik gilt nun als vermeintliches treibmittel der systemoptimierung als zu schützendes gut, also versucht man sie einzuhegen (hege-mann) in einem zarten gehäuse des hybriden, explizit-uneigentlichen sprechens. bei kathrin röggla funktioniert das anders: da sprechen figuren in indirekter rede und dokumentieren so ihre verunsicherung über die manchmal komischen verkehrswege von intervention.

interventionen mag die edition voldemeer (wohl auch deshalb) nicht mehr garantieren und gibt der schön edierten schriftenreihe des züricher instituts für theorie und gestaltung nun den neuen titel „t:g“, was vielleicht „traumdeutung versus gehirnjogging“ heißen könnte, aber eigentlich nur auf die beiden inhaltlichen eckpfeiler der eidgenössischen schaltstelle des künstlerisch-akademischen wissenstransfers verweist. im neuen band „norm der abweichung“ finden sich lesenswerte kommentare zum hier schon öfters verhandelten begleitumstand, dass „dissidenz, kritik und subversion zum motor der modernisierung ebenjener verhältnisse werden, die zu unterminieren, abzuschaffen oder wenigstens zu denunzieren sie einmal angetreten waren“ (marion von osten).

während die amerikanische feministin faith wilding in ihrem performativen vortrag die „just-in-time-selbstaufopferung“ von „total-quality-frauen“ zum teil häkelnd in szene setzt, streicht der freiburger soziologe ulrich bröckling die regieanweisungen des management-gurus tom peters („kreatives chaos“, „the brand called you“), der bei seinen gefeierten auftritten in den neunzigern selbst vor dem einsatz von bühnennebel nicht zurückschreckte, auf ihre essenz zusammen. in peters’ atemloser rhetorik der mobilmachung, die viele anklänge an das revolutionäre pathos von bakunin oder landauer enthält, werden „anarchisten des alltags“ gefordert, die in ihrer arbeit exzentrik und effizienz gekonnt miteinander zu verbinden wissen. wie wenig nachahmenswert diese profitable selbstverschwendung letztlich ist, zeigt kathrin rögglas stück „wir schlafen nicht“ zum beispiel an der stelle, wo die gestresste key account managerin zugeben muss: „sie habe kein privatleben. nicht, dass sie davon wüsste. nein, aber wenn, solle man sie mal darüber informieren. denn hin und wieder hätte sie schon gerne mal eines.“ JAN ENGELMANN

Marion von Osten (Hg.): „Norm derAbweichung“. Edition VoldemeerZürich, Springer Wien New York 2003,282 S., 27 €