Die Weltpolitik bleibt dem Gedenken fern

Heute wird in Ruandas Hauptstadt Kigali der Opfer des Genozids gedacht. Internationale Bemühungen um ein angemessenes Erinnern bleiben bislang eher hilflos. Immerhin, die UNO ruft für heute zu einer Schweigeminute auf

BERLIN taz ■ Kein westlicher Staatschef und kein hochrangiger Verantwortlicher der UNO werden dabei sein, wenn in Ruanda heute des Beginns des Völkermordes vor zehn Jahren gedacht wird. Aus Belgien kommt immerhin Premierminister Guy Verhofstadt an der Spitze einer stattlichen Delegation. Deutschland schickt lediglich Uschi Eid, Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die EU lässt sich durch den irischen Außenminister Brian Cowen und ihren Sonderbeauftragten Aldo Ajello vertreten.

Afrika nimmt das Gedenken wichtiger. Südafrikas Präsident Thabo Mbeki wird in Kigali ebenso erwartet wie der Präsident der Afrikanischen Union, der Malier Alpha Oumar Konaré. Außerdem kommen die Präsidenten von Uganda, Kenia, Sudan und Tschad, die Premierminister von Äthiopien und Tansania und der Vizepräsident von Burundi.

„Die ruandische Regierung ist weder überrascht noch schockiert“, kommentierte Außenminister Charles Murigande das geringe internationale Interesse. „Es passt zum Verhalten der internationalen Gemeinschaft seit zehn Jahren. Wieso sollen sie jetzt kommen, wenn sie vor zehn Jahren nichts taten?“

Heute Vormittag wird in Gisozi, einem Stadtteil von Kigali, eine große neue Völkermordgedenkstätte eingeweiht mit symbolischer Beisetzung einiger Leichen. Die eigentliche Gedenkfeier findet im Amahoro-Stadion von Kigali statt, während des Völkermordes Zufluchtsort für tausende von Tutsi unter Schutz von UN-Blauhelmsoldaten. In Kigali allein starben während des Genozids rund 250.000 Menschen. Leichenreste von 200.000 Toten sollen in der Gedenkstätte Gisozi zu sehen sein – in Särgen mit je bis zu 50 Personen, erklärt David Brown von der zuständigen internationalen Organisation „Aegis Trust“.

Das Gedenken in Ruanda erstreckt sich über die ganze Woche. Im ganzen Land wurden in den letzten Monaten Opfer des Genozids aus Massengräbern exhumiert, um sie in neu eingerichteten oder schon existierenden Gedenkstätten neu zu bestatten.

Für Aufsehen sorgt auch der haitianische Filmemacher Raoul Peck, Regisseur des Spielfilms „Lumumba“ über die Ermordung des kongolesischen Freiheitshelden, der jetzt in Ruanda einen Spielfilm über den Völkermord dreht. Das Nachstellen von Massakerszenen, Straßensperren und Leichenbergen überfordert viele Ruander, die sich daran erinnern, wie es wirklich war. Manche Überlebenden lassen sich als Statisten anstellen und verkraften das dann nicht.

Internationale Bemühungen um einen angemessenen Umgang mit dem Gedenken bleiben bis heute eher hilflos. Konkrete Projekte wie die Bestellung eines ständigen UN-Beauftragten zur Völkermordprävention oder langfristige Hilfe für Ruandas Völkermordüberlebende kommen nicht vom Fleck.

Und nicht in allen Ländern wird mit dem Jahrestag würdig umgegangen. Die Pariser Polizei hat nach einem Bericht der Tageszeitung Libération einen für heute geplanten Gedenkmarsch des ruandischen Völkermordüberlebendenverbandes „Ibuka“ auf einen Friedhof verbannt. Der gewünschte Veranstaltungsort der „Terrasse der Menschenrechte“ am Trocadéro-Park wird stattdessen einem Hutu-Aktionsbündnis zur Verfügung gestellt.

Die UN-Vollversammlung erklärte schon vor Monaten den 7. April zum internationalen Gedenktag und ruft für heute um 12 Uhr zu einer weltweiten Schweigeminute auf.

Würde man die Opferzahl in Ruanda in Relation zu der des 11. Septembers 2001 in den USA stellen, für die es auch schon weltweite Schweigeminuten gab, müsste die Welt nach einer ruandischen Kalkulation eigentlich dreieinhalb Stunden innehalten.

DOMINIC JOHNSON