„John Kerry gehorcht denselben Grundsätzen wie George W. Bush“, sagt John MacArthur

Die Neokonservativen in den USA zitieren gern die Wilson-Doktrin: Demokratie überall. Das Resultat ist verheerend

taz: Herr MacArthur, die Bush-Regierung scheint durch die Entwicklung im Irak angeschlagen. Wird ihre Politik nun multilateraler werden?

John MacArthur: Die Arroganz der Bush-Regierung ist so groß wie vor einem Jahr. Sie macht jetzt bloß bessere PR; sie versucht es aussehen zu lassen, als ob sie kooperieren wollte, aber sie will keine Zusammenarbeit. Die US-Regierung hat nicht die Absicht, im Irak richtige Wahlen abzuhalten, und nicht die Absicht, die Macht der UNO zu übergeben. Sie reden nur von Kooperation, um die Kritik hier in den USA abzumildern. Denn diese Verweigerung der internationalen Zusammenarbeit verängstigt mittlerweile die Leute.

Einige Beobachter meinen, dass wenigstens führende Neokonservative wie Paul Wolfowitz und Richard Pearle an Einfluss verlieren.

Die Neocons sind in der Defensive, aber man muss sie weiterhin sehr ernst nehmen. Man muss sich vor allem darüber bewusst sein, dass es im Irak um einen „liberalen Krieg“ geht. In seiner Rede in London im letzten November hat sich Bush zur Verteidigung des Irakkriegs ausdrücklich auf die Ideen Woodrow Wilsons bezogen. Demnach machen wir, die USA, die Welt sicher für Demokratien, demnach ist es auch unsere moralische Verpflichtung, alle unterdrückten Völker zu befreien. Es ist die Rhetorik Wilsons, die Bushs Berater inspiriert – eine messianische Außenpolitik, die äußerst gefährlich ist. Sie missachtet die Wirklichkeit. Sie basiert auf Gefühlen und moralischer Verpflichtung. Mit solchen Leuten kann man nicht verhandeln. Paul Wolfowitz und andere Neokonservative machen sich Wilsons Rhetorik zu Nutze.

Es geht nur um Rhetorik?

Nein, an einige der Ideen glauben sie tatsächlich. Man muss sich daran erinnern, dass viele dieser Leute einst Anhänger der Demokratischen Partei waren. Sie sind Kalte-Kriegs-Demokraten, die sich damals um Senator Henry Jackson herum organisierten, ein Erz-Antikommunist, der jedes Rüstungskontrollabkommen mit der Sowjetunion unterminierte. Diese Leute sind also keine Republikaner der alten Schule, die sehr viel isolationistischer sind und eine zurückhaltende Außenpolitik befürworten. Es ist übrigens ein Hoffnungsschimmer, dass auch viele Republikaner Bush hassen.

Warum denn?

Das mag Sie überraschen: Genau wie es viele Liberale gab, die die Irak-Invasion unterstützt haben, weil sie dachten, sie wäre im Sinne Wilsons moralisch geboten, gibt es auch einige Republikaner, die Bushs aggressive Außenpolitik und sein gigantisches Haushaltsdefizit ablehnen. Bush hat vor seiner Wahl genau diese Leute angesprochen. Er hat versprochen, die USA nicht in Nationbuilding zu verwickeln. Und er hat die Leute damit irregeführt.

Viele Anhänger der Ideen Wilsons würden sich gegen die Gleichstellung mit den Neocons wehren.

Anders als bei den traditionellen Wilsonianern geht es bei einigen der Neocons auch um Geld, Öl und eine dauerhafte militärische Präsenz im Irak. Es gibt also kommerzielle Elemente in dieser Politik. Aber ich denke dennoch, dass die Politik in der Hauptsache von der Wilson’schen Ideologie angetrieben wird, also dem Anspruch, die gesamte Welt zu demokratisieren.

Wenn Grundzüge der Neocon-Ideologie tatsächlich so verbreitet sind – wo sind dann Chancen für eine andere US-Außenpolitik?

Es gibt nicht viel Hoffnung zurzeit. Howard Dean hat mir ein wenig Hoffnung gegeben, auch wenn er schließlich nicht die Nominierung geschafft hat. Er hat die Irak-Debatte beflügelt. Ich würde mir wünschen, dass die Europäer eine grundlegend andere Außenpolitik entwickelten, einen anderen Blick auf die Welt. Dann könnten die Amerikaner sehen, dass es einen alternativen Ansatz geben kann. Der fehlt derzeit in den USA. Ich glaube auch nicht, dass dies mit John Kerry anders würde.

Was würde John Kerry als Präsident ändern?

Kerry würde sagen: Unsere Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Es darf nicht so aussehen, als würden wir im Irak davonlaufen. Und auch Kerry ist ein guter Wilsonianer. Er gehorcht denselben Grundsätzen wie Bush, auch wenn Bush der Radikale ist. Es gibt in den USA nur einen kleinen Zirkel von außenpolitischen Beratern. Keiner von denen denkt jenseits der eingefahrenen Bahnen.

Also bleiben die US-Truppen auf Dauer im Irak?

Ich fürchte, dass sehr viel mehr Menschen sterben werden, ehe wir verstehen, dass wir die Lehren aus dem Vietnamkrieg zu schnell und vollständig vergessen haben. Ein Freund sagte mir neulich: Wenn wir tatsächlich die Welt so gut in Ordnung und die Demokratie in den Irak bringen können, dann lasst uns doch erst nach Vietnam zurückkehren, um dort den Job zu beenden. Lasst uns zurückgehen! Lasst uns den Vietnamesen Demokratie bringen! Das Problem ist, dass man hier in den USA solche Witze nicht machen kann – wegen dieser dominierenden Wilson’schen, moralisierenden Einstellung. Wir denken, wir hätten die gottgegebene Verantwortung, die Welt zu verbessern, selbst wenn es bedeutet, dass wir während dessen die Welt schlechter machen.

INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ