Action statt Theorie – Drang statt Sturm

Gründonnerstag und Karfreitag begannen Aktivisten plötzlich wie wild Häuser zu besetzen. In ordentlichen Internet-Tabellen listen sie 20 zu stürmende Objekte auf. Die Häuser waren schnell erobert – und noch schneller wieder geräumt

Mehr als 20 Immobilienangebote finden sich unter www .squat.net im Internet: nicht zum Verkauf, nicht zur Miete – nein, zum Besetzen. Fein säuberlich auf einer Excel-Tabelle aufgelistet, ist das Angebot reichhaltiger bestückt als bei manch einem Immobilienmakler. Zum Beispiel Objekt Nr. 14: „Haus in der Boxhagener Straße 53, 1000 Quadratmeter; die erste Etage ist komplett mit Metallplatten zugenietet“, heißt es in der Beschreibung. Oder Objekt Nr. 4: „Altes Bullenrevier in der Schönhäuser Allee, Zustand: sehr gut“.

B.e.s.e.t.z.er.I.n.n.e.n.k.o.m.i.t.e.e. heißt die Redaktion der Internetseite, die dazu aufruft, die leer stehenden Häuser zu besetzen. Dem kommen die Aktivisten sogleich nach. Schon am Donnerstag stürmten 200 Personen mit 10 selbst gebauten Bauwagen auf das Gelände eines ehemaligen Schlachthofs an der Hausburgstraße in Friedrichshain.

Auch eine Küche hatten sie im Schlepptau. Nach nur wenigen Stunden hatte die Polizei den Platz wieder geräumt. Umso geballter ging es gestern weiter. Gegen Mittag besetzten mehrere Gruppen ein Haus in der Friedrichshainer Kopernikusstraße. Zwei Stunden später folgte ein Haus in der Scharnweberstraße 37 und um 15.33 Uhr ein Objekt in der Döringstraße. Alle Häuser waren allerdings innerhalb kurzer Zeit wieder geräumt. Um 16.45 Uhr folgte der Aufruf zur Besetzung eines Hauses in der Greifswalder Straße. In ihrem Übereifer vergaßen die Initiatoren bloß, die Hausnummer anzugeben. Bis Redaktionsschluss war noch nicht bekannt, ob die Erstürmenden den richtigen Hauseingang finden konnten.

Vier Besetzungen an zwei Tagen – das erinnert so manch einen Berliner an die Zeiten nach dem Mauerfall, als innerhalb von wenigen Wochen hunderte leer stehende Häuser und Wohnungen besetzt wurden.

Woher der neue Elan? Zurückzuführen sind die Aktionen auf „Autoorganisation“, einen Kongress von Autonomen und anderen Linksradikalen, der noch bis Sonntag in Berlin stattfindet. In einzelnen Workshops geht es um Begriffe wie „Aneignung“ und „selbst verwaltete Begegnungsstätten“, die anscheinend nicht in langen Theoriedebatten versacken sollen, sondern gleich aktiv ausprobiert wurden.

Wenn in Friedrichshain die Besetzungen toben, ist natürlich auch in Kreuzberg was los. Zeitgleich, aber unabhängig davon hat eine so genannte Bürgerinitiative mitten auf der Adalbertstraße eine Gartenpagode aufgestellt und sie verpackt. Damit wollen die Verpacker den Ausverkauf des Senats von Sozialwohnungen an Immobilienhaie symbolisieren, der einem Geschenk gleichkommt. Sowohl die Besetzer als auch die Verpackungskünstler kündigen für die Ostertage weitere Aktionen an.

FELIX LEE