Zwischen Elite und Lachnummer

Münchens Ludwig-Maximilians-Universität ist wahrscheinlich die typische Uni: So elfenbeinern wie Harvard University, so schmuddelig wie eine verrauchte Studentenkneipe. Ein Besuch bei Tops und Flops des heißesten deutschen Elitekandidaten

„Die Ludwig-Maximilians-Uni soll eine Spitzenuniversität sein? Da lach ich doch!“, sagt der 21-jährige Politikstudent „Die jungen Doktoranden bringen die Durchbrüche, nicht Politiker oder Professoren!“, sagt der 35-jährige Genetikprofessor

AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER

Diese Tonlage kennen deutsche Studenten eigentlich nicht: „Kann ich Ihnen noch was Gutes tun?“ Die Dame an der Essensausgabe lächelt. Sie überreicht dem sprachlosen Kunden sein Tablett. Freundliche Bedienung, gutes Essen und saubere Tische? Die Uni-Cafeteria in Großhadern, am Rand der Stadt München, ist keine gewöhnliche. Hier ist Wissenschaftselite zu Hause. Zwischen Forschungsbauten, bei denen der Mörtel noch feucht ist, eilen Studenten und Forscher in weißen Kitteln umher. Ein Gemurmel aus Französisch, Deutsch und viel Englisch dringt herüber.

So können deutsche Unis aussehen. Nicht nur die Fleischpflanzerln schmecken, auch die Arbeit ist erfolgreich – Harvard und Stanford rufen am „High Tech Campus“ der „Ludwig-Maximilians-Universität“ (LMU) kein ehrfürchtiges Schaudern hervor. Sie sind ebenbürtige Konkurrenten. Im angegliederten „Gene-Center“ etwa haben der Biologieprofessor Patrick Cramer und seine Doktoranden gerade die US-Konkurrenz aus Stanford überholt. Und dabei gezeigt, dass ihre einfache Formel aufgeht: „Man forscht nur optimal, wenn die Umgebung optimal ist.“ Wieder einmal gelang ihnen ein Durchbruch bei der Darstellung von „RNA-Polymerase II“. Die Forschergruppe fand die Erklärung, wie sich Kopierfehler bei Genabschriften selbstständig löschen.

Ludwig-Maximilians-Universität. Sie wird stets genannt, wenn es um die Elite-Unis geht, die Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) ab 2006 mit je 50 Millionen Euro jährlich extra fördern will. Die LMU hat viele Goldmedaillen errungen. Zahlreiche Rankings und Benchmarks sehen hier, an der Massenuni, die Forschungselite der Republik – gemessen an Publikationen und Drittmitteln.

Doch für die meisten der 47.703 Studenten sind eigene Publikationen genauso unvorstellbar, wie das Wort Drittmitteleinwerbung unbekannt ist. Ihr Ziel ist nicht die Spitzenforschung, sondern ein Sitzplatz im überfüllten Seminar. Ein harter Kampf, bei dem keiner von Elite spricht: Viele müssen sich nach der stickigen Lehrveranstaltung in den Kantinen um ein zähes Schnitzel balgen. Sie kennen ihre US-Konkurrenten aus der Bibliothek. Allenfalls.

„Spitzenuni? Da lach ich doch!“ Severin Veitleder kann über die Rankings seiner Uni nur den Kopf schütteln. Gerade mit dem Zivildienst fertig, hatte der 21-Jährige nur ein Ziel im Auge: „Politik studieren, und zwar in München. Das soll ja sehr gut sein, hieß es.“ Das war vor einem halben Jahr. Heute wartet Veitleder wieder einmal ernüchtert vor dem Institutssekretariat. Geöffnet ist nur selten. Kaum ist jemand krank, ist die Tür verriegelt. Auch sonst steht sie den Studenten maximal von 9 Uhr bis 12 Uhr offen.

Wenig Zeit für zu viele Studenten. Zusammen mit Informatikern, Sozial- und Kommunikationswissenschaftlern lernen am „Geschwister-Scholl-Institut“ mehr als 3.000 Politikstudenten. Noch vor einigen Jahren war das Institut bekannt für streitbare politische Standpunkte. Heute ist es zumindest noch an der Uni berühmt – für Proseminare mit 45 Teilnehmern und Kurseinschreibungen, bei denen Langschläfer jene sind, die um fünf Uhr morgens einen Platz ergattern wollen. Hier erleben die Studenten deutschen Uni-Alltag hautnah: Sie wissen, was die Nichtbesetzung vakanter Lehrstühle bei steigenden Einschreibungszahlen bedeutet.

Auch Sebastian Domsch hat zu viele Studenten und zu wenig Geld. Der Anglistikdozent arbeitet im „Schelling 3“ im Univiertel – berüchtigt wegen der angeblich schlechtesten Cafeteria, den ältesten Bodenbelägen und den bröckelndsten Zimmerdecken. Schon der Eingang in den riesigen Komplex, der zur Hochzeit des Fertigbetons errichtet wurde, erinnert eher an einen S-Bahnhof als an eine Uni. Unbeleuchtet drücken sich die Schwingtüren hinter die graue, schäbige Fassade und verbergen gekonnt die Fakultät für Literaturwissenschaft.

Das Büro von Domsch liegt gleich gegenüber dem defekten Männerklo im zweiten Stock. Domsch hat wie sein Superkollege Cramer einen Flachbildschirm und Internetanschluss. Doch das ist Zufall. Es ist die Aussteuer seines Professors, die hier investiert wurde. „Den Computer und den Tisch haben wir vom Berufungsgeld angeschafft.“ Die beiden Schränke hat der 28-Jährige selbst gekauft. Und auch für Personal hat die Eliteuni kein Geld mehr: „Es wird so viel gekürzt, dass wir die Prüfungsordnung wahrscheinlich nicht einhalten können.“ Gerade die Kurse für Sprachpraxis müssten massiv zurückgefahren werden, ein entscheidender Baustein im Englischstudium. Um halbwegs vernünftige Seminargrößen zu ermöglichen, führt sein Institut ab kommendem Wintersemester einen computergestützten Eingangstest durch. In Domschs Augen beinahe die einzige Möglichkeit: „Uns werden die Mittel gestrichen, aber wir dürfen uns die Studenten nicht auswählen.“ Ein Problem, fehlt es doch vielen am grundlegenden Schulwissen, und – leise ist das zu hören – auch die Bummelstudenten finden sich hier in respektabler Zahl. Doch er übt sich in schwarzem Humor: „Den Germanisten geht's noch schlechter.“

An der Substanz – ob am Bau oder beim Personal – mangelt es zwar mancherorts an der LMU. Aber noch lockt die Fächervielfalt – Studenten wie Politiker. Lyrikbibliothek, Historicum, Audimax und das Physikdepartment, beim Schnelldurchlauf wirkt die LMU wie ein riesiger Apparat universellen Wissens, Forschens und Lehrens. Bayerns Wissenschaftsminister Thomas Goppel kommt hier beinahe im Wochentakt vorbei. Dass ihn gefrustete Studenten angesichts der Sparpläne schon mal symbolisch mit einem schnittkräftigen Rasenmäher begrüßen anstatt mit einem warmen Händedruck, stört ihn kaum. Er ist beeindruckt von den Rankings.

Doch auch Goppel erkennt inzwischen, dass „keine Universität in allen Disziplinen Weltspitze“ sein kann. Seine Lösung heißt Elitenetzwerk und Clusterbildung, bei einem entsprechenden bayerischen Wettbewerb um „zusätzliche Mittel“ ist die LMU als Sprecherhochschule hervorgegangen, an 9 von 15 Sonderprojekten ist sie beteiligt. Wichtigstes Ergebnis: Die Gewinner können den Rotstift frühzeitig wegstecken und sich über einige Sonderüberweisungen freuen (siehe Kasten).

Geld, das auch Patrick Cramer gebrauchen könnte. Mit glänzenden Augen gehen seine Mitarbeiter durch die Labore, deuten auf Zentrifugen, Rechner und Röntgenanlagen und reden dabei von „unserem Baby“ oder raunen: „Das war teuer.“ Allein das Arbeitsmaterial eines einzelnen Mitarbeiters kann viele hundert Euro pro Tag verschlingen. Für Cramer kein Problem: „Die jungen Leute sollen nicht überlegen, ob ihr Projekt 10.000 Euro oder 20.000 Euro kostet. Sie sollen forschen.“ Das Geld darf keine Rolle spielen, findet der 35-jährige Hochschullehrer: „Denn genau diese jungen Leute bringen die großen Durchbrüche. Nicht Politiker oder Professoren!“

Cramer arbeitet hart daran, dass seinen Schützlingen das Geld nicht ausgeht: Im Schrank stapeln sich Drittmittelanträge und Gutachten, „die doch keiner liest“. Und trotzdem möchte Cramer dieses Finanzierungssystem nicht missen: Erst die vielen tausend Euro der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (DFG) ermöglichen seinem zehnköpfigen Team aus ganz Europa die Spitzenforschung.

Von „kleinen Paketchen“, wie sie Goppel verteilt, hält der Wissenschaftler dagegen nichts. „Das bedeutet nur wieder Papierkram für Kleinbeträge. Die Förderung sollte komplett über die DFG laufen!“ Und am liebsten würde er auch die Unistruktur aufmischen: „Ich verlange von der Leitung echte Struktureinschnitte, bis aufs Blut!“ Auf Dauer könne die Rasenmähermethode nicht mehr angewandt werden, sonst leide auch seine Forschung, prophezeit der 35-jährige Professor und blickt dabei aus dem Fenster Richtung Martinsried. Dort türmen sich, gleich hinter den Feldern, die Neubauten des weltbekannten Bio-Tech-Standorts. Auf Basis der Grundlagenforschung, die Cramer und seine Kollegen im Auftrag der Universität betreiben, entwickeln die Firmen einige Kilometer weiter marktreife Produkte und Medikamente – „Brückenschlagen“ heißt das in Großhadern.

Worte, die Rektor Bernd Huber freuen werden. Zwar ist der LMU-Chef kein Freund der Eliteuni („negativ vorbelastet“), und die wüsten Gedanken Goppels von den „verdorrten Trieben“, die man abschlagen müsse, gehen ihm zu weit. Aber auch in seinen Augen kann die Uni das Ansehen in der Welt nur erhalten, wenn das Geld von den durchschnittlichen hin zu den erfolgversprechenden Studiengängen umgeschichtet wird. Um das Elitepotenzial zu identifizieren und letztlich die Sparvorgaben aus dem Ministerium erfüllen zu können, haben sich in den vergangenen Wochen Unileitung, Professoren und Studierendenvertreter in so genannten Profilierungskommissionen die Nächte um die Ohren geschlagen. Irgendwer musste entscheiden, wo noch mehr gestrichen werden kann. „Zurückziehen“ wird sich die LMU in den nächsten Jahren aus 22 von 150 Fächern, darunter Geologie, Sprachwissenschaft und Sozialgeschichte.

Auch das Politikinstitut von Severin Veitleder ist in der Uni-Kommision ausführlich zur Sprache gekommen. Zu wenig Brillanz, zu viel Streitereien wurden dem GSI nachgesagt. Die Schließung stand im Raum. Mittlerweile wurde der ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin berufen, und auch der Minister testiert inzwischen, dass das Institut ein „wichtiger gesellschaftlicher Faktor“ sei, den es zu erhalten gelte.

Für Severin Veitleder ist das nur Symbolpolitik. „Diskutiert wurde bei uns überhaupt nicht, stattdessen ist das Vorlesungsverzeichnis im Vergleich zum vorigen Semester um beinahe ein Drittel geschrumpft“, schimpft der junge Student. Vorlesungen im Fach „Politische Systeme“ können nicht mehr angeboten werden. Immerhin der Hinweis im Vorspann: „Sollten die am GSI derzeit vakanten und zur Wiederbesetzung anstehenden Professuren besetzt oder zumindest weiter vertreten werden, würde dies positive Auswirkungen hinsichtlich des Lehrangebots nach sich ziehen.“

Über solchen Trost kann Veitleder nur den Kopf schütteln. Wie das gesamte Semester über, wie jede Woche, wie in beinahe jedem Seminar irrt er durch die schmalen, neonbeleuchteten Gänge auf der Suche nach einem Stuhl. Genügend Sitzgelegenheiten sind eigentlich nie da. „Und wenn man dann einen Platz hat, auf dem Boden, unter dem Tisch oder gar auf einem Stuhl, ist meist so viel Trubel, dass man nichts versteht – egal ob es um Aristoteles geht oder das System der BRD.“

Zufrieden geben will er sich nicht mit diesen Bedingungen. Aber er ist ein Erstsemester. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch er noch Lehrgeld zahlt und entnervt sein Studienfach wechselt, ist groß. Viele springen ab, auch er wollte „wegen der Unsicherheit und den miesen Bedingungen“ zu den Juristen wechseln. Und wer dabei bleibt, hat gute Chancen, spätestens bei der Zwischenprüfung zu fliegen – Durchfallquote: 30 Prozent. Diese Auslese ist Veitleders Hoffnung: „Nicht aufgeben, in der zweiten Studienhälfte soll es besser sein.“

Durchhalten ist auch in der Biochemie angesagt. Aber gut betreut vom Professor. Einmal im Monat schnappt sich Genforscher Cramer eine Thermoskanne, fährt mit seinen Studenten zum Teilchenbeschleuniger nach Zürich und feilt weiter am guten Ruf der LMU. Während die Atome herumrasen, macht es sich der Doktorvater im Schlafsack bequem, die Messinstrumente stets im Blickfeld. Eine Einstellung zum Beruf, die Cramer auch von seinen Schützlingen erwartet. Nur wer hier durchhält, hat sich qualifiziert für seine Elitetruppe: „Nicht jeder kann die Spitzenausbildung bekommen – es kann kein Recht auf einen Zugang zum Master in Biochemie geben!“