The American Way: Niedersachsen by Nature

Touristen sollen nach dem Willen von Umweltminster Sander auch in Naturschutzgebiete dürfen. Ein Konzept gibt es noch nicht.

Aus EmdenThomas Schumacher

Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander hat eine Idee. Er verkündete sie – zwischen Lachs und Zungenwurst – auf einem Pressefrühstück kurz vor Ostern. Der FDP-Mann will Niedersachsen zu einer Art Serengeti-Park umbauen. Naturschutzgebiete und Nationalparks sollen im Bundesland zwischen Wattenmeer und Harz großzügig für den Naturtourismus geöffnet werden. „Nur wer die Natur kennt, will sie auch schützen“, so Sander, der als bekennender Fan amerikanischer Nationalparks gilt.

„Viele bedrohte Tiere haben sich längst an Menschen gewöhnt. Die Alttiere geben ihre Zutraulichkeit an die Jungen weiter“, erklärt der Umweltminister den „Serengeti-Effekt“. Als Konsequenz könnten diverse Schutzzonen aufgehoben werden. Immerhin würden in den USA die Nationalparks sehr viel strenger geschützt und kontrolliert als bei uns. Letzteres können Umweltverbände nur bestätigen. Und wundern sich daher: „Sollte Sanders Idee Wirklichkeit werden und das amerikanische Modell auf Niedersachsen übertragen werden, dann müsste die Regierung sehr viel mehr Geld in Aufsichtspersonal, Informationshäuser und Leitsysteme investieren“, so Birgit Weerts vom World Wildlife Fonds (WWF) in Bremen. An eine Aufstockung des Naturschutzetats – derzeit sind das in Niedersachsen rund 22,5 Millionen Euro – denkt das Umweltministerium aber keineswegs.

Naturschutzetat gekürzt

Im Gegenteil, unter den Naturschutzverbänden in Niedersachsen geht derzeit das Gespenst der Pleite um. „Wir wollen in Zukunft eher konkrete Projekte unterstützen und nicht mehr den Verbänden pauschal Geld überweisen“, bestätigt ein Sprecher des Ministeriums. Außerdem stehen Etatkürzungen in den Nationalparkhäusern an. „Hier wird informiert, hier werden Zusammenhänge erklärt. Wenn der Minister ohne neue Investitionen Naturschutzgebiete öffnet, zerstört er Natur“, sagt Ulrich Thüre, stellvertretender Geschäftsführer des Naturschutzbundes (NABU) Niedersachsen.

Um seine Idee zur Öffnung von Naturschutzgebieten zu begründen, beruft sich Umweltminister Sander auf „neue wissenschaftliche Erkenntnisse“. „Wir meinen damit die Beobachtungen der ehrenamtlichen Helfer des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie (NLÖ) und Beobachtungen unserer Mitarbeiter am Maschsee in Hannover. Da fühlen sich Reiher nicht mehr von den Menschen gestört“, stutzt Magnus Buhlert, Sprecher des Umweltministeriums, die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Ministers auf ihr tatsächliches Maß zurück.

Schutz sichert Vielfalt

Abgesehen davon, dass das Umweltministerium just dieses Landesamt für Ökologie gerade abschafft, gibt es tatsächlich Untersuchungen – nur: die widersprechen dem Minister. „Biber, Fischotter, Seeschwalben, viele bedrohte Arten haben sich gerade in streng geschützten Regionen wieder angesiedelt. Es gilt die Faustregel, je strenger eine Fläche geschützt ist, desto mehr Arten siedeln sich an“, so Birgit Weerts vom WWF.

Ein Konzept für eine Öffnung der Naturschutzgebiete gibt es ebenso wenig, wie eine Studie über Kapazitäten die für einen erweiterten „Naturtourismus“ zur Verfügung stehen. „Wir wollen das erstmal ausprobieren“, sagt der Sprecher des Umweltministeriums. Mit den zuständigen Behörden hat der Minister seine Idee noch nicht abgesprochen. Aber die haben Angst. Denn gerade im Naturschutzbereich droht in Niedersachsen im Zuge der Verwaltungsreform ein Kahlschlag. Dabei sind im Harz oder an der Nordsee die Begehrlichkeiten der Tourismusindustrie groß, die Kapazitäten aber längst erschöpft. „Bei mehr als drei Millionen Gästen und über 20 Millionen Übernachtungen direkt im und am Nationalpark Wattenmeer kann ich mir nicht vorstellen, was der Minister da noch für den Tourismus freigeben will“, meint eine Mitarbeiterin des Ministers.

Gelenkte Touren sind o.k.

Dabei wenden sich die Umweltverbände nicht pauschal gegen den Naturtourismus. „Wir praktizieren das schon lange. Mit Gänsebeobachtungen, Führungen durch Moore und zu Biberburgen. Das sind gelenkte und betreute Touren“, sagt Ulrich Thüre vom Nabu. Aber selbst diese Aktionen stoßen mitunter auf Kritik. „Wir haben nachgewiesen, dass nach den Naturtouren der Verbände die Besucher wild in geschützte Gebiete eindringen“, bedauert Manfred Knake vom Wattenrat in Esens/Ostfriesland.

Was tatsächlich passiert, wenn Schutzgebiete für Freizeitaktivitäten geöffnet werden, das hat Umweltminister Sander gerade in Emden im Naturschutzgebiet Petkumer Vordeich durchgespielt. Dort wurde zunächst ein Treibgutabfuhrweg durch ein 200 Hektar großes Natur- und europäisches Vogelschutzgebiet gebaut. Statt wie üblich einen einfachen Spurweg zu verlegen, baute die Deichwacht in Absprache mit der Stadt Emden eine Betonpiste in die Landschaft. Die FDP-Stadtfraktion bedrängte ihren Umweltminister in Hannover daraufhin, diesen Weg als Radweg freizugeben. Der Minister versprach Hilfe. Und nachdem die Stadt Emden offiziell die Freigabe des Weges beantragt hatte, gab es kein Halten mehr. Trotz zahlreicher Anzeigen ließen die Verantwortlichen zu, dass Angler mit ihren Autos den Weg befuhren, mehrere Monate der eigentlich gesperrte Weg illegal als Rad- und Spazierweg genutzt wurde.

Die EU soll’s richten

„Mitten in der Brutzeit haben Hunde Wattvögel gejagt. Der Petkumer Vordeich ist Nahrungs- und Rastgebiet von 16.000 Nonnengänsen. Schon ein Radfahrer verscheucht in einer Distanz von 80 Metern die Tiere. Damit ist dieser ehemals geschützte Bereich zerstört“, ärgert sich Eilert Voss, seit Jahren ehrenamtlich im Naturschutz an der Küste tätig. Jetzt gab der Minster den Deichweg offiziell als Radweg frei. Das Schutzgebiet ist endgültig entwertet.

Hilfestellung gegen die ministeriale Idee, solche Zustände auch in anderen Naturschutzgebieten einzuführen, erhoffen sich die Naturschützer nun von der Europäischen Union. Denn viele Naturschutzgebiete, wie auch das Vogelschutzgebiet Petkumer Vordeich, unterliegen dem EU-Recht – es gelten strenge Regeln. „Entweder ist dem Minister das egal, oder er weiß das nicht. Aber wir werden ihn daran erinnern“, sagt Manfred Knake vom Wattenrat Ostfriesland kampfeslustig.