Die Topstory heute: Waffen-Deal der Regierung – oder die Prostituierten, die einen Pizzeria-Besitzer strangulierten?

„The Star“ in Johannesburg versucht das Unmögliche. Täglich. Eine Zeitung zu sein, die sowohl in den Swimmingpool-Villen als auch in den Wellblechhütten gelesen wird. Eine, die Südafrikas junge Demokratie und die vielen Welten Johannesburgs zusammenhält

AUS JOHANNESBURGROBIN ALEXANDER

Wenn dieser skeptisch blickende schwarze Mann in Uniform nicht bald die Schranke zur Tiefgarage hebt, hat der Besucher ein Problem: In Downtown Johannesburg, der Innenstadt der gefährlichsten Metropole der Welt, kann man keinen Wagen auf der Straße parken. Nicht fünf Minuten. Hier werden Autos sogar gestohlen, während die Fahrer drinsitzen. Endlich. Der Wachmann lässt uns in den Untergrund des Hochhauses der Independent Newspaper Group. Die meisten Unternehmen haben die gefährliche Innenstadt längst verlassen.

Aber der Star, Johannesburgs größte Tageszeitung, wird immer noch im Auge des Taifuns produziert. Zwanzig Stunden am Tag wird in dieser Redaktion gearbeitet. Jeden Tag gibt es vier Ausgaben. Jeden Tag muss es eine Topstory geben, die jeden Joburger – ob schwarz, weiß oder farbig – interessiert und doch als Schlagzeile auf die Poster passt, die an jedem Laternenpfahl in der Stadt hängen. Und es funktioniert. Das geschriebene Wort ist hier eine Industrie. Und die, die sie am Laufen halten, kauern auf schrottreifen Büromöbeln und tippen ihre Texte in ein uraltes Computersystem.

„All the bloody money goes to Ireland“ („Das ganze verdammte Geld geht nach Irland“) scherzt ein Kollege, als er dem Besucher einen schiefen Stuhl hinschiebt. Der Tycoon Tony O’Reilly, eine Art Rupert Murdoch von der grünen Insel, besitzt den Star und so gut wie alle anderen englischsprachigen Zeitungen Südafrikas, seit sich die mächtigen Minengesellschaften nach dem Ende der Apartheid aus dem Pressegeschäft zurückzogen. Doch viel Zeit, über den Boss zu lästern, hat hier keiner.

Die Nachrichtenchefin Cecilia Russell ruft durch das Großraumbüro: „Supermarket Shootout in Weltervredenpark. Go. Go!“ Russell regiert im kargen Newsroom: Fast zwanzig Reporter hören auf ihr Kommando. Einer von ihnen stürzt jetzt gemeinsam mit einer Fotografin los. Ein Fahrer wartet schon in einem weißen Toyota mit laufendem Motor. Nach einer wilden Fahrt durch die Straßenschluchten: Die Leichen zweier Räuber auf einem Parkplatz eines Spar-Supermarktes. Der Manager verteilt Cola und Zigaretten an die Beamten. Zurück in der Redaktion, sagt Russel: „Gute Story: Ein Foto, 200 Worte.“

So viel bekommt in einer deutschen Zeitung die neue Laube des Kleingartenvereins. Viele Worte werden im Star selten gemacht. Aber dafür in vielen Sprachen. Das Blatt erscheint in Englisch, aber das ist die Muttersprache nur weniger Mitarbeiter. Der Gerichtsreporter Siyabonga Mkhwanazi notiert die Verbrechen in Zulu, sein Kollege Themba wa Sepotokele aus dem Politressort recherchiert in Xhosa, der Sprache mit den schwierigen Schnalzlauten. Die englischen Texte der beiden werden redigiert von einer Mitarbeiterin, die mit ihren Eltern portugiesisch spricht.

Selbst der farbige Chefredakteur Moegsien Williams muss manchmal ein Wort nachschlagen: Seine erste Sprache ist das aus dem Niederländischen stammende Afrikaans. Das Sprachengewirr im Star ist nur auf den ersten Blick unübersichtlich. Im Chaos gibt es eine Hierarchie, eine klare Front zwischen Schwarz und Weiß. Die meisten Reporter haben afrikanische Muttersprachen, die meisten „Subeditors“ hingegen sind entweder weiße, englische Muttersprachler oder beherrschen Englisch fast so gut wie die Burensprache Afrikaans. Subeditor werden in angelsächsischen Zeitungen die Mitarbeiter genannt, die Artikel anderer überarbeiten, layouten und mit Überschriften versehen. Nirgendwo auf der Welt sind Reporter und „subs“ gut aufeinander zu sprechen. In Südafrika sprechen sie oft gar nicht miteinander. Und brauchen einander doch: Die einen haben die Geschichten, die anderen die Sprache. Für eine gute Zeitung braucht es aber beides.

Welche Rolle spielte der Star im alten Südafrika? Das erfährt der Besucher bei Alf Kumalo. Der ist 73, sieht zwanzig Jahre jünger aus, eigentlich längst in Rente, arbeitet aber noch immer in der Dunkelkammer des Star. Kumalo hat ein eigenes Museum in Soweto, dem großen Township unweit von Johannesburg. Hier hat Kumalo die Fotos geschossen, die ihn erst zu einer Art offiziellen Fotografen des schwarzen Freiheitskampfes und später zu einer mit Preisen überhäuften internationalen Berühmtheit gemacht haben.

Kumalo hat Nelson Mandela am Tag seiner Verurteilung fotografiert und ihn im Gefängnis mit Fotos seiner heranwachsenden Töchter versorgt. Auf den Titelseiten amerikanischer Magazine sah die Welt die Stiefel der Burensoldaten in den Gesichtern schwarzer Schüler. Eines seiner Fotos zeigt zwei ärmlich gekleidete Frauen, die mit Stöcken verzweifelt versuchen, bissige Polizeihunde abzuwehren. Die beiden Frauen sind heute Abgeordnete im Parlament.

„Der Star war keine Zeitung des Freiheitskampfes“, sagt Kumalo, „aber eine Zeitung, die Bilder des Kampfes gezeigt hat – wenn sie gut waren sogar auf Seite eins.“ Meist allerdings nur in der ersten Ausgabe. Dann rief die Regierung an und die Chefredaktion entschärfte die später gedruckten Zeitungen. Vom Ende der Apartheid hat vor allem die neue schwarze Mittelklasse profitiert. Deren Aufstieg spiegelt sich auch in der Leserstruktur des Star wider. Nach internen Analysen sind 54 Prozent der Leser schwarz. Viele haben einen hohen Lebensstandard. Auf der anderen Seite gibt es eine immer größer werdende Gruppe arbeitsloser Leser. Die Schranken zwischen den Rassen mögen niedriger werden, die sozialen Unterschiede jedoch wachsen in Südafrika. Johannesburg, das ist eine Stadt und viele Welten.

Kann es eine Zeitung geben, die sowohl in den Swimmingpool-Villen als auch in den Wellblechhütten gelesen wird? „Wir halten an unserem Konzept fest, eine Zeitung für alle Johannesburger zu machen“, betont Moegsien Williams. Das ist nicht selbstverständlich. Ein konkurrierendes Verlagshaus bedient die Rassen separat: Eine seriöse Tageszeitung in Afrikaans, der Sprache der Weißen. Und ein billiges Revolverblatt in Englisch für die schwarzen Townships. Williams hält diesen Ansatz für falsch: „Südafrikaner waren lange genug getrennt von einander. Wir Medien haben eine Verantwortung, unsere junge Demokratie zusammenzuhalten“.

In der Apartheidzeit gründete der heute 53-Jährige eine Untergrundzeitung – mit Geld aus Deutschland: 9.000 Rand (gut 1.100 Euro, damals eine stolze Summe), die ihm heimlich in der deutschen Botschaft in einem Umschlag zugesteckt wurden. Heute pocht Williams auf politische Unabhängigkeit. „Wir haben immer öfter Ärger mit der anderen Straßenseite.“ Dort befindet sich das Chief-Luthuli-Building: das Hauptquartier des mächtigen ANC, der Partei Mandelas und des amtierenden Präsidenten Thabo Mbeki.

Am späten Nachmittag wird über den Aufmacher und die Schlagzeile entschieden. Im Konferenzraum prallen die Argumente aufeinander. Soll ein geplatzter Waffendeal der Regierung mit europäischen Konzernen auf die Seite eins? Oder doch besser die zwei zimbabwischen Prostituierten, die einen Pizzeriabesitzer nach schmutzigen Sexspielen strangulierten? Schwierige Entscheidung.

Aber da ist noch eine Geschichte. Ein gefürchteter Auto-Hijacker, der Menschen mit gezogener Waffe zum Aussteigen aus ihren Wagen zwang, ist heute zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ein Reporter hat zehn seiner Opfer ausfindig gemacht. Einige von ihnen sind immer noch in psychologischer Behandlung, ein Mann ist vom Räuber zum Krüppel geschossen worden. Diese Menschen werden morgen auf der Seite eins des Star stehen. Mit ihrem Foto, mit ihren Gedanken und Gefühlen: Schwarze, Braune, Weiße – ganz normale Joburger.