DIE USA VERLIEREN IHRE WILLIGEN, WEIL SIE KOMPROMISSUNFÄHIG SIND
: Doktrinäre Verhärtung

Kritiker der USA neigen dazu, die Rationalität der amerikanischen Außenpolitik zu unterschätzen. Man mag die US-Kriege vom ersten Golfkrieg über Kosovo bis nach Afghanistan moralisch ablehnen – jedoch beachteten die USA meist die Regeln der „checks and balances“. Sie schmiedeten Koalitionen, nahmen mehr oder weniger viel Rücksicht auf ihre Partner. Und sie waren in der Lage zu lernen.

Beides, die Lern- und Koalitionsfähigkeit, scheint derzeit rapide zu schwinden. Seit Wochen hört man von Bush angesichts der Eskalation der Gewalt im Irak nichts als Durchhalteparolen. Spanien und Honduras ziehen sich nun aus dem Irak zurück, andere werden vielleicht folgen. Im Weißen Haus scheint das niemanden zu irritieren – so wenig wie der Umstand, dass die US-Besatzer den Kreislauf der Gewalt im Irak in Schwung halten, indem sie Moscheen bombardieren. Die aggressiven Unilateralisten in der US-Regierung haben diese ausweglose Lage selbst herbeigeführt. Jetzt müssen sie irgendwie einen einheitlichen, demokratischen Irak schaffen, sonst droht ihnen der ideologische Bankrott. Gleichzeitig sorgen sie mit ihrer Hybris dafür, dass dieser höchst schwierige Prozess noch komplizierter wird.

Das zweite Indiz für die doktrinäre Verhärtung der US-Außenpolitik ist die Wende im Nahostkonflikt. Bei freundlichster Lesart kann man in Bushs Anerkennung für Scharons Plan, den Gaza-Streifen zu räumen, aber weite Teile des Westjordanlandes besetzt zu halten, einen Trick sehen: Bush gibt Scharon Deckung für dessen Rückzug aus Gaza. Dafür spricht indes wenig. Es wäre das erste Mal, dass die USA einen fundamentalen Wechsel ihrer Nahostpolitik ankündigen, nur um die israelische Innenpolitik zu beeinflussen. Realistischer ist, dass Bush die Wende ernst meint. Und das bedeutet: Die Roadmap gehört in den Müll. EU, Russland und UNO sind in Nahost faktisch aus dem Spiel.

Diese Verhärtungen sind gefährlich. Auf Probleme reagiert das Weiße Haus mit „more of the same“, auf Widerstand mit Verschärfung, auf abweichende Meinung der Verbündeten mit Alleingängen. Die US-Politik scheint derzeit dem Bild ähnlich zu werden, das ihre Gegner schon immer von ihr hatten. STEFAN REINECKE