Blut der Europäer schlecht für Vampire

EU-Politiker haben nach einer Untersuchung der Umweltorganisation WWF zahlreiche Chemikalien im Blut. Sie fordern eine strengere Zulassung von Flammschutzmitteln oder Weichmachern. Die lässt aber auf sich warten. Schuld hat auch der Kanzler

AUS BERLIN HANNA GERSMANN

Gäbe es Vampire, sie hätten nichts zu lachen: In den Adern des Menschen fließt ein blutiger Giftcocktail. Das ist das Ergebnis einer Studie des World Wide Fund. Die Umweltorganisation hat knapp 50 Europaparlamentariern Blut abgezapft und es dann auf 101 Schadstoffe untersuchen lassen. Die Laboranten wiesen Rückstände nach von Chemikalien mit so komplizierten Namen wie bromierte Flammschutzmittel, polychlorierte Biphenyle oder Phtalate.

„Alarmierend“ nannte gestern die deutsche Abgeordnete der Grünen Hiltrud Breyer das Resultat. Trotz ihrer, wie sie von sich selbst sagt, „bewussten Lebensführung“ seien bei ihr 37 Chemikalien gefunden worden. Damit schneidet sie noch relativ gut ab. Der Rekord lag bei 54 Substanzen, die nicht ins Blut gehören. Der Mensch drohe, zur „Sondermülldeponie“ zu verkommen, klagte Breyer. Genau wie ihre Kollegen Lissy Gröner und Bernd Lange (beide SPD), die sich ebenfalls testen ließen, forderte sie eine rasche Reform der europäischen Chemikalienpolitik.

Es ist das erste Mal, dass derart viele Chemikalien im menschlichen Körper untersucht wurden. Repräsentativ ist die Studie zwar nicht. Doch geht die Chemieexpertin des WWF, Dr. Ninja Reineke, davon aus, dass die Blutwerte keine Ausnahmen sind. Sie sagt: „Die meisten Europäer werden ähnlich hoch belastet sein.“ Das alles hat allerdings nichts zu tun mit spektakulären Chemieskandalen, nichts mit dem Seveso-Unfall oder der Sandoz-Rhein-Verseuchung, die die Debatte in den 80er-Jahren beherrschten.

Bei den jetzt nachgewiesenen Stoffen handelt es sich um solche, die in ganz alltäglichen Produkten stecken, etwa in Fernsehern, Sporthosen oder Plastikschüsseln. Zum Beispiel kann sich ein Weichmacher aus Kunststoffen lösen oder ein Flammschutzmittel aus Elektrogeräten ausgasen. Die Konzentrationen im Blut sind gering, liegen fast immer im Bereich von Nano- oder Piktogramm. Ob diese Dosen krank machen? „Wir wissen es einfach nicht“, erklärt Reineke.

Tatsächlich ist vom Gros der Chemikalien bisher nicht bekannt, wie sie wirken. Das hängt damit zusammen, dass Stoffe in Europa unterschiedlich reguliert werden – je nachdem, wann sie entwickelt wurden. Bisher müssen nur die nach 1981 erzeugten Stoffe auf ihr Umweltrisiko geprüft werden. Das ist aber nur ein kleiner Teil. 85 Prozent der Chemikalien werden als so genannte Altstoffe gehandelt, für die der Hersteller keine Sicherheitsdaten liefern muss.

Das Problem ist auch der Europäischen Kommission bekannt. Ende 2003 legte sie einen Gesetzentwurf für eine große Chemiereform vor. Deren Name REACH steht für Registrierung, Evaluierung und Autorisierung. Danach soll die Industrie künftig beweisen, das ihre Altstoffe unbedenklich sind: In den nächsten elf Jahren müssen sie die Sicherheit aller Altstoffe dokumentieren, von denen sie jährlich über eine Tonne produzieren. Die Konzerne warnten vor einem „bürokratischen Monster“, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zusammen mit dem britischen Premier Tony Blair und dem französischen Präsidenten Jaques Chirac vor der „Deindustrialisierung Europas“. Und die für Frühjahr geplante erste Lesung im EU-Parlament wurde bis Herbst verschoben.

Unterdessen geht der Angriff auf die Fruchtbarkeit des Menschen ungehemmt weiter. Vor kurzem erst haben Forscher der Universität Erlangen nachgewiesen, dass die Bevölkerung stärker als angenommen mit Plastik-Weichmachern belastet ist. Diese wirken erwiesenermaßen wie Hormone: Mädchen kommen früher in die Pubertät, Männer schlagen sich mit einer geringen Spermienzahl herum.