Politik spart sich die Integration

Kehrtwende in den Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz: SPD und Union wollen Anspruch auf Sprachkurse streichen. Ausländerbehörden sollen „nach eigenem Ermessen“ entscheiden, wer Unterricht bekommt. Integrationsbeauftragte empört

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Seit den Anschlägen von Madrid gibt es in der öffentlichen Diskussion über das Zuwanderungsgesetz nur noch ein ein Thema: mögliche Änderungen zum Schutz vor dem Terrorismus. Von den ursprünglichen Zielen des rot-grünen Gesetzes, etwa der verbesserten Integration, war kaum noch die Rede. Wohl aber hinter verschlossenen Türen in der Verhandlungsrunde von Regierung und Opposition.

Gut informierten Beobachtern aus dem Grünen-Lager schwante seit langem, was sich da zusammenbraute: für sie nichts Gutes. Nun hat der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening Alarm geschlagen. In einem Brief an seine Kollegen aus den anderen Bundesländern machte er auf neue Pläne des Innenministeriums aufmerksam, durch die Otto Schily offenbar einen Kompromiss mit der Union erreichen will. Das Ministerium habe „ein grundlegend neues Integrationsmodell vorgelegt“, schrieb Piening. Die geplanten Änderungen stünden den Positionen der Integrationsbeauftragten „diametral entgegen“, sie könnten „in der Praxis weitreichende Folgen haben“.

Was den Berliner Landesbeauftragten so aufgeschreckt hat, ist der Abschied von einem Punkt des Zuwanderungsgesetzes, den die Bundesintegrationsbeauftragte Marieluise Beck als „Kernstück“ der geplanten Reform bezeichnet. Wie der SPD-Verhandlungsführer Dieter Wiefelspütz inzwischen bestätigt hat, soll der Rechtsanspruch für Migranten auf Integrations- und Sprachkurse gestrichen werden. Damit fällt auch die Verpflichtung des Staates weg, ein entsprechendes Angebot zur Verfügung zu stellen und bezahlen.

Mit Entsetzen nahmen die Experten zur Kenntnis, dass nach den Vorstellungen der SPD künftig die Ausländerbehörden „nach eigenem Ermessen“ darüber entscheiden sollen, welche Migranten Integrationskurse besuchen sollen. Damit seien sie „überfordert“, sagt Marieluise Beck. „Wer soll es denn sonst tun?“, fragt Wiefelspütz.

Darauf gaben die Integrationsbeauftragten gestern eine Antwort: Der Integrationsbedarf könnte von den künftigen Jobcentern der Bundesagentur für Arbeit festgestellt werden, erklärten sie zum Abschluss ihrer Frühjahrstagung in Berlin. Die Förderung sei künftig im Sozialgesetzbuch II und III zu verankern und in den Katalog von Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitslosengeldbezieher aufzunehmen. Die Jobcenter sollten mit den Betroffenen „Eingliederungsvereinbarungen“ abschließen. Nur wenn es ein angemessenes Angebot gebe, seien auch Sanktionen gerechtfertigt.

Betroffene, die sich Integrationshilfen verweigerten, „müssten dann mit Leistungskürzungen rechnen“, erklärte Niedersachsens Ausländerbeauftragte Gabriele Erpenbeck.

Bei den Zuwanderungsverhandlungen zeichnet sich außerdem ab, dass Migranten stärker als bisher geplant an den Integrationskosten beteiligt werden sollen. Gegen „finanzielle Eigenbeteiligungen“ haben auch die Integrationsbeauftragten nichts einzuwenden, wenn sie sozial verträglich gestaltet würden.