„Das, was wir auflegen, ist EU-Musik“

Zu Zeiten des Format-Radios geht das Medium für Musik von Format verloren. Es gibt zwei Ausnahmen: Klaus Walters „Der Ball ist rund“ (mittwochs um 23.05 Uhr auf HR 2) und der „Zündfunk“ mit Thomas Meinecke (täglich um 19.00 Uhr auf BR 2). Ein Round-Turntable-Gespräch über Radio und Pop

taz: Warum ist Pop einerseits in den Jugendwellen so präsent wie nie – während andererseits ein umfassendes, vielleicht linkes Verständnis von Popkultur aus der Radiolandschaft verschwindet?

Klaus Walter: Ich denke, ein wichtiger Punkt sind die Jugendradios selbst. Mit ihrer Erfindung Mitte der Neunzigerjahre hat sich die Alterspyramide als Ordnungsfaktor der Wahrnehmung durchgesetzt. Mangels Vertrauen in Inhalte oder in eine Produktionsweise vertraut man eben ultimativ dieser Alterspyramide. Wenn man Mitte vierzig ist, hört man demnach die Musik seiner Jugend und irgendein als solches konfektioniertes Adult-Format. Als Zwanzigjähriger hört man die Charthits …

Thomas Meinecke: … und das Schrägste, das dieser Logik nach noch ins Programm passt, wäre dann eine Band wie Franz Ferdinand. Allerhöchstens.

Musik jenseits von Franz Ferdinand wird dann in den Kulturfunk verbannt – und damit quasi von der Pop- zur Hochkultur umdeklariert?

Walter: Wir erleben ja gerade in der so genannten U-Musik eine neuerliche Spaltung. Das, was Thomas oder ich auflegen, ist dann gewissermaßen EU-Musik, also U-Musik als E-Musik präsentiert, und das andere ist UU, U-Musik als U-Musik präsentiert. Beides geht mit Outkast, Blumfeld und auch mit Britney, alles eine Kontextfrage.

Nur dass ein immer stromlinienförmigeres Radio eben auch entscheidet, welcher Kontext noch zugelassen wird …

Walter: Erst mal wurden die Formate immer kleiner, vom Vinyl zur CD, und dann schrumpfte es zur MP3. Viele von denen, die heute mit Musik arbeiten – früher hätte man Radio-DJ zu ihnen gesagt – kennen die Musik nur noch als Schriftsatz in einer Computerdatei. Wissen im Zweifelsfall also nicht mal, welchen Geschlechts und welcher Hautfarbe das ist, was sie da gerade senden.

Meinecke: Ist das nicht politisch unheimlich progressiv?

Walter: Es ist sozusagen das Verschwinden des Autors … Was mit der momentanen Entwicklung auf jeden Fall verloren geht, ist die unifizierende und konfrontative Kraft, die Musik im Radio einmal hatte.

Meinecke: Ich sehe das nicht so skeptisch. Wenn gerade eine Entfremdung entsteht, dann zunächst einmal gegenüber den großen Plattenfirmen, die sich nicht mehr als Musikverkäufer verstehen, sondern als Content-Provider. Als Teil einer elektronischen Unterhaltungsindustrie, der es ziemlich egal ist, ob sie einen Joystick oder eine neue Britney Spears verkaufen.

Wird, wem das nicht egal ist, künftig nur der Deutschlandfunk oder die Kulturwellen bleiben?

Walter: Zwischen dem Feuilleton und dem Radio geht eine absurde Schere auf. Es gibt heute zu jeder Blumfeld- oder FSK-Platte einen Aufmacher im Feuilleton. Abgesehen von den letzten verbliebenen Nischensendungen findet das aber keinen Niederschlag im Radioprogramm. Dort findet solche Musik nicht mehr statt.

Was dann wunderbar in die gegenwärtige Debatte um eine Erhöhung der Rundfunkgebühren passt.

Walter: Letztlich wird es irgendwann auf eine Gebührendebatte hinauslaufen. Warum Gebühren für Programme, die sich von den Privaten nicht mehr unterscheiden?

Meinecke: Es ist ja paradox, dass in vermeintlich fortschrittlichen Bundesländern diese Jugendwellen zuerst installiert wurden und eine Nivellierung der Radiolandschaft forciert haben, während es im konservativen Bayern immer noch so irritierende, glücklich machende Radionischen gibt.

Warum gerade dort?

Meinecke: Ich glaube, dass eine der Tugenden Bayerns, ob jetzt zu Zeiten der beiden Ludwig-Könige oder der Räterepublik, eine Art kreativer Umgang mit Widersprüchen war. Immer im Wissen darum, dass es um eine Homogenisierung der Kultur in diesem Freistaat ohnehin nicht gehen kann. Was passierte, war eine Art konservatives Zulassen des jeweils anderen. Und das ist etwas, was sich ein System Björn Engholm eben nicht leisten kann. Es ist ja auch immer der absolute Renner in Feuilletons von bayerischen Tageszeitungen, wenn man einfach eine ganze Seite lang Franz-Xaver Kroetz mit Gauweiler zum Schweinebraten essen schickt und die dann mal losreden lässt. Das ist, glaube ich, der größte Unterhaltungswert, den es in diesem Bundesland gibt.

Und was kann sich das kränkelnde System Popkulturindustrie noch leisten? Brauchen nicht auch die Majorlabel ein gewisses Maß an Radiokultur, um ihre Produkte zu vermarkten?

Walter: Das alte Ding, in den Laden zu gehen und eine Platte zu kaufen, ist in dieser Form nicht mehr relevant. Da hat die Musik an Aura verloren und auch an Definitionsmacht im Alltag. Für 16-Jährige sind inzwischen andere Dinge wichtiger – Spielekonsolen und Klingeltöne.

Meinecke: Die Industrie testet momentan ja aus, ob es so eine Erzählung wie das Album-Format künftig überhaupt noch geben wird. Aber das ist nichts, was mich pessimistisch stimmen würde, weil das dann wiederum zur Chance für die kleinen Label wird und ich auf die großen ohnehin nie so gesetzt habe. Irgendwie glaube ich immer noch an die Selbstregulation der Mechanismen, die mit Pop zu tun haben. Ich bin in so einer Situation wie jetzt eher gespannt darauf, wie sich dann alles wieder neu einrenken wird.

Um die Popmusik als solche muss man sich also keine Sorgen machen?

Meinecke: Ich stelle im Gegenteil fest, dass gegenwärtig richtig viel gute Musik in den Hitparaden ist. Ich finde gerade mal, dass es für Popisten eine bessere Zeit ist als etwa vor 20 Jahren. Auch der kommerzielle Scheiß ist teilweise raffiniert und gut gemacht.

Wir haben vorhin über Irritationen gesprochen, können Irritationen und Fehler nicht auch etwas sehr Produktives sein?

Meinecke: Die große Chance am Radio ist ja, dass so etwas möglich ist. Wenn man zum Beispiel mal ein Loch gesendet hat, dann weiß man, was für eine produktive Reibung das in deiner Wahrnehmung erzeugen kann.

INTERVIEW: CLEMENS
NIEDENTHAL