Ein Zentrum wird vertrieben

Das lange umstrittene Zentrum für Vertriebene wird bedeutungslos. Sechs Kulturminister einigen sich in Warschau auf ein „Europäisches Netzwerk für Zwangsmigration und Vertreibung“

WARSCHAU/BERLIN taz ■ Das „Zentrum gegen Vertreibung“ des Bundes der Vertriebenen ist noch nicht gebaut, da gehört es auch schon der Vergangenheit an. Völlig überraschend haben sich am Donnerstag Kulturstaatsministerin Christina Weiss und die Kulturminister aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Österreich darauf geeinigt, statt des von Vertriebenenchefin Erika Steinbach geplanten Zentrums in Berlin ein „Europäisches Netzwerk“ zu gründen.

Damit scheint nun auch ein Streitpunkt vom Tisch, der seit einiger Zeit das deutsch-polnische Verhältnis vor eine schwere Belastungsprobe gestellt hatte. Statt eines Zentrums in Berlin wird es jetzt, so Christina Weiss, eine europäische Lösung geben. Das geplante Netzwerk soll alle in Europa bestehenden Museen, Gedenk- und Forschungsstätten miteinander verbinden. Eine Expertengruppe aus allen sechs Ländern wird bis Oktober Vorschläge ausarbeiten, wie dieses Netzwerk aussehen und funktionieren könnte. Partner in diesem Netzwerk können neben Museen und Forschungszentren auch Opferverbände sein wie der Bund der Vertriebenen (BdV) in Deutschland oder der Verband der Sibiriaken in Polen.

Das Projekt „Zentrum gegen Vertreibungen“ des BdV ist damit noch nicht vom Tisch. Doch durch die Initiative der sechs Kulturminister wird es auch in den Augen der Öffentlichkeit zu einer bloßen Privatinitiative degradiert. Für die beiden Vorsitzenden der BdV-Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“, Erika Steinbach (CDU) und Peter Glotz (SPD), dürfte es schwieriger werden, Bundesmittel für das Projekt einzutreiben. Dennoch meint Peter Glotz in einer ersten Stellungnahme: „Ich bin zuversichtlich, dass es mit dem Zentrum noch etwas wird. Wenn nicht unter dieser Regierung, dann unter einer, die anders zusammengesetzt ist.“ Die CDU, spekuliert das SPD-Mitglied ganz offen, werde nach den nächsten Wahlen das Steinbach-Glotz-Projekt durchziehen.

Felix Knüppling, der persönliche Referent des sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Markus Meckel, hält die Warschauer Vereinbarung für einen Durchbruch. Doch auch er warnt: „Im Oktober treffen sich alle Parteien noch einmal in Ungarn. Dann wird über die Finanzierung und die zu vernetzenden Institutionen gesprochen. Erst dann wird es wirklich konkret für das Netzwerk.“

GABRIELE LESSER

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