Deutschland, wo wirst du wirklich regiert?

In Bonn arbeiten mehr Staatsdiener als in Berlin. Das Bonn-Berlin-Gesetz erschwert die effiziente Arbeit der Ministerien

Frühlingshaft blüht die ehemalige Hauptstadt Bonn, wirtschaftlich boomt sie. Obwohl die Bühne der Politik in Berlin steht, ist Bonn viel mächtiger, als viele glauben. Die Mehrheit der Beamten und Angestellten des Bundes arbeitet in Bonn – 11.500 Staatsdiener. In Berlin sind es nur 8.300. Wie kam es zu dem Bonner Machterhalt? Als 1991 der Regierungsumzug beschlossene Sache war, flossen dort die Tränen. Viele fürchteten den Absturz der Stadt in die Bedeutungslosigkeit. Aber es kam anders.

Heute vor zehn Jahren wurde das Bonn-Berlin-Gesetz verabschiedet. Es ist der Garant Bonns für Ausgleichsleistungen in Höhe von 1,43 Milliarden Euro. Es soll der Stadt beim Strukturwandel helfen. Fünf Bundesministerien haben ihren Sitz noch am Rhein. Unternehmen wie Post und Telekom haben ihr Stammhaus noch in Bonn, Wissenschaftseinrichtungen und internationale Organisationen werden gezielt dort angesiedelt.

Damit Spitzenbeamte vom Rhein an die Spree pendeln können, muss der Bund etwa zehn Millionen Euro jährlich aufbringen. Der Bundesrechnungshof – selbst in Bonn beheimatet – veröffentlichte 2002 ein Gutachten, in dem er berechnete, wie viel die Alternative kosten würde: Die Verlegung der Regierung nach Berlin, so das Bonner Gutachten, koste fünf Milliarden Euro. Das suggeriert: 500 Jahre könnte die Regierung pendeln, es wäre billiger als ein Umzug.

Franziska Eichstädt-Bohlig, Abgeordnete der Grünen im Bundestag, hat kein gutes Wort für den Bericht. „Ein schlechtes Gutachten“, sagt sie, „denn es berücksichtigt den doppelten Verwaltungsaufwand nicht.“ Die Kosten für den Vollumzug hält sie für überzogen.

Viele stellen sich auch die Frage, wie Ministerien effizient arbeiten sollen, wenn deren politische Spitze längst in Berlin operiert, der große Teil ihrer Beamten aber noch in Bonn sitzt. Staatssekretäre, die zweimal pro Woche pendeln, werden an die Grenzen der Belastbarkeit geführt. Videokonferenzen mögen ein netter Politgimmick sein, Gespräche von Angesicht zu Angesicht können sie nicht ersetzen. Selbst das Verbraucher- und das Verteidigungsministerium – beide formell mit Erstsitz in Bonn – sind dabei, ihr Personal nach Berlin zu holen. Mehr als 25 Prozent dürfen es aber offiziell nicht sein, so will es das Bonn-Berlin-Gesetz.

Sorgen sollte sich Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD), der das Gesetz politisch verantwortet, um den ministeriellen Nachwuchs machen. Die jungen Beamten in Bonn haben das Gefühl, vom Gestaltungsprozess abgehängt zu sein. Sind sie da für die Arbeit in der Hauptstadt überhaupt noch gewappnet?

Wann sich etwas an diesem Zustand ändern könnte, ist ungewiss. Vor den für Rot-Grün so wichtigen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen wird niemand die Gewichte zu Ungunsten Bonns verschieben. Langfristig allerdings wird man um eine Diskussion der paradoxen Regierungsverteilung nicht umhinkommen. NIKLAS ALT