„Gentechfreie Zonen sind legal“

Gentechnik ist eine Risikotechnologie. Agrarexperte Graefe zu Baringdorf warnt vor einem „gentechnischen Tschernobyl“. Jetzt seien Politik und Verbraucher gefragt

taz: Der Zustand, vor dem auch Sie lange gewarnt haben, ist jetzt eingetreten: Gentechnisch veränderte Pflanzen werden in der EU wieder zugelassen. Was werden die Gegner nun tun?

Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Unsere Sorge ist jetzt: Wird es möglich sein, auf Dauer gentechfrei Pflanzen in Europa anzubauen? Es gibt kein friedliches Nebeneinander zwischen Gentech und Nicht-Gentech, weil die Natur sich lustvoll austauscht. Die so genannte Koexistenz ist ein Trojanisches Pferd, bei dem wir nach fünf oder zehn Jahren feststellen müssen, leider gibt es Gentech überall, entweder bewusst angebaut oder durch Pollenflug kontaminiert.

Wie wollen Sie das verhindern?

Wir haben es im Europäischen Parlament geschafft, in die Freisetzungsrichtlinie den Artikel 26 einzufügen. Danach können die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um die Abgrenzung sicherzustellen. Dann muss der Abstand zwischen Gentech und gentechfrei so groß sein, dass es nicht zu einer Kontamination kommt. Das kann eine sehr große Fläche sein. Eine Wissenschaftlerin sagte bei der Anhörung vor der EU-Kommission: „Am besten wäre es, der Atlantik bliebe dazwischen.

Diese Zeiten sind vorbei.

Und deshalb wollen wir gentechfreie Zonen als Koexistenzmaßnahmen. Wenn wir das im Widerspruch zur Freisetzungsrichtlinie machen, dann muss die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, und das wird vor dem Europäischen Gerichtshof landen. Oberösterreich versucht das, und der Widerspruch der Kommission läuft. Kärnten dagegen ist den anderen Weg gegangen und hat sich als Koexistenzmaßnahme zur gentechfreien Zone erklärt. Die Kommission hat es akzeptiert.

So einfach ist das, den Willen der Kommission auszuhebeln? Wird es europaweit dazu kommen?

Es gibt inzwischen in vielen EU-Ländern diese Bemühungen. In Deutschland unterstützten wir die Bauern juristisch und politisch bei der Ausweisung solcher Zonen. 150 bis 200 dieser Zonen werden in Deutschland wohl entstehen.

Für die Bauern bringt Gentech nichts, sagen Sie. Warum wird es dann trotzdem gemacht?

Weil die Industrie sich davon viel verspricht. Ich habe in meiner ganzen politischen Laufbahn noch kein Thema erlebt, bei dem so massiv und effizient Lobbyarbeit gemacht wurde wie bei der Gentechnik. Dabei liegen die Erfolge der Gentechnikindustrie eher in der Pharmazie. Da kann man diskutieren, welche Nebenwirkungen man in Kauf nehmen will. Im Landwirtschaftsbereich ist das ganz anders: Es ist nicht notwendig, Gentech einzuführen, und man darf sich keine Nebenwirkungen leisten.

Letztlich entscheidet sich die Frage am Verbraucher, ob er Genfood will oder nicht. Hält der Verbraucher die momentante Ablehnung durch?

Wir brauchen eine demokratische Auseinandersetzung um diese Art der Ernährung. Wir haben das im Atombereich gesehen: Ich glaube, eine Technik verhindert man in unserem Zeitalter nicht zum Beginn, sondern wenn es große Probleme gibt. Sollte ein gentechnologisches Tschernobyl passieren, wird es wichtig sein, ob wir in der Bevölkerung eine Debatte über das Ende dieser Technik angestiftet haben.

Weil man es nicht mehr verhindern kann, muss man warten, bis die Katastrophe geschieht?

Ich bin kein Katastrophenpolitiker, aber die Gentechnik ist eine Risikotechnologie. Die Frage der Rückholbarkeit ist bei der Gentechnik noch viel schwieriger als bei der Atomkraft. Wir greifen hier ein in die Grundfesten der Natur. Deshalb muss sich die Bevölkerung damit auseinander setzen. Wir müssen diese Risikotechnologie begleiten, um eine gentechfreie Linie zu halten, damit man überhaupt eine Möglichkeit zur Rückkehr hat. INTERVIEW BERNHARD PÖTTER