Rot-grüne Reformen ohne Wirkung

Deutschland lasse die wirtschaftliche Stagnation nur langsam hinter sich, erklären die sechs wichtigsten Konjunkturforscher. Wachstum reicht 2004 und 2005 nicht, um Joblosigkeit nennenswert zu verringern. Dafür seien auch Hartz-Gesetze ungeeignet

AUS BERLIN HANNES KOCH

Die Gesetzesflut der rot-grünen Bundesregierung trägt wenig dazu bei, die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Das ist die Botschaft der sechs großen Wirtschaftsforschungsinstitute, die diese in ihrem Frühjahrsgutachten niedergelegt haben. „Es wäre falsch zu meinen, die bessere Konjunktur sei auch oder sogar vorwiegend das Ergebnis der in Gang gesetzten Reformen“, erklärten die Ökonomen gestern in Berlin.

Eine Verbesserung muss man sowieso mit der Lupe suchen. Während die Weltwirtschaft kräftig wächst, „löst sich die deutsche Wirtschaft langsam aus der Stagnation“. Nach einem leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung in 2003 werden dieses und nächstes Jahr jeweils um 1,5 Prozent mehr Güter und Dienstleistungen hergestellt. Diese Belebung reicht allerdings nicht aus, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Sie verharrt bei gut zehn Prozent oder rund 4,3 Millionen Erwerbslosen auch 2005.

Den Hinweis auf die mangelnde Wirkung der rot-grünen Politik wollte Gustav Adolf Horn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auch ganz grundsätzlich verstanden wissen. Eine Nationalregierung könne mit kurzfristiger Konjunkturpolitik selten viel ausrichten und müsse sich deshalb langfristig darauf konzentrieren, mehr Wachstum zu schaffen. Aber auch da hapert es nach Ansicht der Wirtschaftsforscher.

Rot-Grün lege bisher zu wenig Gewicht darauf, die Staatsfinanzen von konsumptiven zu investiven Ausgaben umzuschichten. Für staatliche Investitionen in Infrastruktur und Bildung müsse deutlich mehr Geld ausgegeben werden, damit der Wohlstand in Zukunft nicht abnehme.

Demgegenüber würden manche der rot-grünen Maßnahmen geradezu verpuffen. „Die Hartz-Reform“ zur Deregulierung des Arbeitsmarktes „hat keine positiven Beschäftigungseffekte“, sagte DIW-Wissenschaftler Horn. Eckhard Wohlers vom Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv fügte hinzu: „Der Niedriglohnsektor löst das Problem der Arbeitslosigkeit nicht.“ Die Bundesregierung solle lieber ein Gesetz weniger als eines mehr verabschieden, mahnte Horn – die Reform-Orgie habe die Bevölkerung verunsichert. Und wer sich unsicher fühle, gebe zu wenig Geld aus. Ergebnis: Die Nachfrage lahme, die Wirtschaft schwächelt.

Aber nicht in jedem Punkt taugt das Gutachten als Kritik-Vorlage für Gewerkschafter, Verbände und Attac. Wo immer möglich und effizient, solle Deregulierung stattfinden, sagen die Ökonomen. Außerdem fordern sie eine „maßvolle Lohnpolitik“: Die Steigerung solle unter dem Zuwachs der Produktivität bleiben, also bei rund einem Prozent pro Jahr.

Die lahme wirtschaftliche Lage spiegelt sich im Zustand der Staatsfinanzen: Nach Einschätzung der Institute wird Deutschland sowohl dieses als auch nächstes Jahr das Maastricht-Kriterium der Eurozone verfehlen (maximal drei Prozent Neuverschuldung im Vergleich zum BIP). Selbst rot-grüne Regierungskreise räumen ein, dass die Neuverschuldung 2004 infolge vieler Finanzlöcher – eins davon: das Ausbleiben der Mittel aus der bislang gescheiterten Lkw-Gebühr – im schlechtesten Fall 40 Milliarden Euro übersteigen könne. Jenseits dieser Grenze, die durch das Rekorddefizit von CSU-Finanzminister Theo Waigel von 1996 markiert wird, beginnt nach gegenwärtiger Definition der endgültige finanzpolitische Horror. Steuerschätzer aus Bund und Ländern gehen inzwischen davon aus, dass zwischen 2005 und 2007 rund 30 Milliarden Euro weniger Steuern hereinkommen, als noch im vergangenen Jahr geplant.